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Venture Capital in der Schweiz: Wie gefährdet sind Innovationen in der Schweiz durch die Finanzkrise?

Der Standort Schweiz verfügt grundsätzlich über sehr vorteilhafte Rahmenbedingungen für die Gründung junger und innovativer Unternehmen, die in ihrer Wirkung einen wesentlichen Beitrag zur systematischen und strukturellen Erneuerung der Volkswirtschaft leisten. Die unternehmerische Kultur, das gesellschaftliche Verständnis wie auch die politische Unterstützung sind indes drei Faktoren, die innovationshemmend wirken. Beim für die Verwirklichung marktfähiger Ideen verfügbaren (Risiko-)Kapital nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich ebenfalls eine Position im Mittelfeld ein. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich die Situation durch die Finanzkrise noch verstärkt und in welchem Bereich mögliche Chancen und Handlungsfelder identifiziert werden können.

Im Vergleich zu anderen Ländern wird der Schweiz im Allgemeinen eine sehr hohe Standortattraktivität attestiert. Diese Auszeichnung speist sich nicht zuletzt aus einem weltweit anerkannt hohen Niveau in der Berufswie auch der universitären Ausbildung sowie aus attraktiven steuerlichen Rahmenbedingungen. Ein hoher Lebensstandard und die Präsenz wichtiger internationaler Konzerne als potenzielle Kunden lassen die Schweiz zusätzlich als interessanten Standort für Unternehmensgründungen erscheinen.

Verfügbarkeit von Venture Capital: Die Schweiz im Hintertreffen


Allerdings gibt es eine Reihe von Defiziten. Zunächst ist die Verfügbarkeit von Risikokapital (Venture Capital, VC) zur Finanzierung junger und innovativer Unternehmen im internationalen Vergleich eher durchschnittlich. Im Vergleich zur Weltspitze – insbesondere Singapur, Hongkong, Finnland, Schweden oder USA – rangiert die Schweiz geradezu abgeschlagen, wie der jüngste Global Competitiveness Report des World Economic Forum nahelegt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen existiert in der Schweiz eine sehr hohe Sparquote. Im Gegensatz zu vergleichbar grossen, finanzstarken Staaten – wie Singapur – werden diese «gesparten» Gelder aber nur in geringerem Mass für die systematische Erneuerung der Volkswirtschaft investiert. In einzelnen Regionen wie Kalifornien beträgt der Anteil an jährlich investiertem Venture Capital gemessen an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung (BIP) rund 0,7%. In der Schweiz sind es schätzungsweise lediglich 0,08% bis 0,12%.  Hinzu kommt eine strukturelle Risikoaversion, insbesondere bei institutionellen Anlegern. Schweizer Pensionskassen und andere Investoren sind aufgrund ihres traditionellen Asset Managements – ebenso wie sehr vermögende Privatpersonen – kaum in Private Equity und noch weniger in Venture Capital engagiert. Das liegt wohl auch daran, dass sie mit diesem agilen und dynamischen, stets um Innovationen ringenden Marktsegment kulturell und historisch weniger vertraut sind als ihre angelsächsischen Kollegen.

Systematische Innovationsförderung in aufstrebenden Ländern


Dramatisch wird es, wenn man rasch aufstrebende Volkswirtschaften wie Indien und China betrachtet. Sie stossen mit einer systematischen Innovationsförderung in immer mehr wertschöpfungsintensive Wettbewerbsfelder vor und locken mit ihren strategisch ausgerichteten, den universitären Einrichtungen angeschlossenen Innovations- und Industrieparks auch in erheblichem Umfang Schweizer Kapital an. Allein im chinesischen Zhongguancun Science Park stehen beispielsweise für Ventures nach vorsichtigen Schätzungen mehr als zehnmal so viele Mittel zur Verfügung wie für die ganze Schweiz! Dabei geht es aber nicht nur um finanzielle Ressourcen, sondern um Rahmenbedingungen, die in vielfältiger Weise wirken: Die besondere Venture-Atmosphäre ergibt sich aus einem dynamischen System variierender Akteure, verbunden mit zahlreichen inventions- und innovationsfördernden Interaktionen und Rückkoppelungen.

Auswirkungen der Finanzkrise: Direkte Faktoren…


Was sind nun die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Verfügbarkeit von Wagniskapital und damit auf die Innovationskraft der Schweizer Volkswirtschaft? Grundsätzlich treten direkte wie auch indirekte Faktoren zu Tage. Der wichtigste direkte Faktor ist der unmittelbare Zwang bestehender Investoren, ihre – durch die Finanzkrise ohnehin tendenziell verminderten – Mittel zuerst in die bereits im Portfolio befindlichen Unternehmen zu investieren, um deren durch die Krise verlangsamtes Momentum aufrechtzuerhalten und deren Bestand zu sichern. Dies reduziert die Möglichkeit der Investoren, in neue, vielversprechende Innovatoren zu investieren. Hinzu kommt, dass Grossunternehmen, die nicht selten über firmeneigene Corporate-VC-Abteilungen verfügen und erhebliche Teile der Forschung und Entwicklung über VC-Engagements ausgelagert haben, in finanziell schwierigeren Zeiten ihre Forschungsbudgets substanziell kürzen und weniger in Ventures investieren.

…und indirekte Faktoren


Aber auch indirekte Faktoren spielen eine wichtige Rolle. So ist beispielsweise der Zugang zu Fremdkapital für Private-Equity seit 2007 schwieriger geworden. Im Segment Venture Capital ist es derzeit fast unmöglich, Fremdkapital zu erhalten. Im Venture-Bereich wird daher mit Eigenkapital und Eigenkapital-ähnlichen Instrumenten gewirtschaftet; Hebelwirkungen durch den Einsatz von Fremdkapital sind selten. Die Krise trifft aber gerade auch das VC-Geschäft – insbesondere das Neugeschäft – stark, weil schon von der ersten Finanzie-rungsrunde an überlegt werden muss, wie das gesamte Wachstumspotenzial finanziert werden soll, und weil mit den vorhandenen Mitteln in erster Linie versucht wird, bestehende Portfoliounternehmen durch die Krise zu finanzieren.  Ein weiterer indirekter Faktor bezieht sich auf die potenziellen Kunden der Jungunternehmen, also die Endverbraucher und die Unternehmen. Diese sind nicht selten selbst von Einkommensbzw. Nachfragerückgängen betroffen, was eine entsprechende Kontraktion des Marktes nach sich zieht. Ausgestattet mit weniger Startkapital – aktuell häufig aus dem vertrauten Umfeld (Family, Friends & Fools sowie Foundations) -, sind die ersten Schritte junger Unternehmen somit erheblich schwieriger geworden. Darunter leidet die Innovationskraft und mithin die unternehmerische Motivation, eine Idee oder eine Erfindung (Invention) in marktfähige Produkte oder Dienstleistungen umzusetzen, die einen neuen oder zumindest deutlich erhöhten Kundennutzen generieren. Zusammengefasst bedeutet dies, dass sich die ohnehin schon bestehende Knappheit von Wagniskapital durch die Finanzkrise weiter verschärft hat. Sieht die Zukunft nun düster aus?

Krise als Chance für lernfähige Jungunternehmer


Das Gute an der Krise mag sein, dass die Jungunternehmer gezwungen sind, noch kreativer und innovativer, anpassungsfähiger und agiler zu werden. Das gilt auch für universitäre Institutionen, die nicht selten an einer zentralen Schnittstelle zwischen Invention und Innovation stehen. An der Schnittstelle zur Wirtschaft helfen möglichst vielfältige alternative Finanzierungsmöglichkeiten, um die beste Lösung für Forschende wie auch für unternehmerisch Tätige zu finden. Breiter, früher und kreativer noch als bisher muss die Suche nach neuen Lizenz- und Kooperationspartnern angegangen werden. Wer vermarktungsfähige Innovationen vorantreibt, wird sich noch genauer überlegen müssen, wo die Marktlücken sind, wie die Vorgänge beschleunigt werden können und welche ungewöhnlichen Wege begangen werden müssten. Dies kann eine langfristig äusserst wertvolle Erfahrung sein. Ohne rasche Anpassungs- und Lernfähigkeit werden heute aber gerade auch an der Schnittstelle zur Wirtschaft zahlreiche Opportunitäten leichtfertig verpasst. Zudem ist die Verfügbarkeit von Wagniskapital nur ein – wenn auch ein gewichtiger – Faktor für den Erfolg einer Unternehmung. Ebenso wichtig wie die rein technische Kapitalzufuhr sind für Jungunternehmen mit marktrelevanten Innovationen die richtigen Netzwerker, z.B. Leute im Verwaltungsrat, die in der Lage sind, tragfähige Strategien zu erkennen und festzulegen. Wichtig sind auch die richtigen Leute auf der operativen Führungsebene, welche Forschung und Entwicklungsbudgets zusammenstellen, die unternehmensweite Kultur innovationsfreudig zu entwickeln haben sowie strategische Allianzen einfädeln und Kontakte zu (potenziellen) Schlüsselkunden einbringen.  Das Humankapital dürfte indes der entscheidende Faktor sein für die langfristige Lebensfähigkeit von Start-ups. Menschen reagieren sehr sensibel auf unternehmensspezifische Signale in ihrem Makroinnovationsumfeld: Je innovationsfreudiger die Kultur ist, desto erfolgreicher sind jeweils die Mikroinnovationen. Dementsprechend ist auch der Suche nach Reflexionskompetenz, Listening Skills, analytischen Fähigkeiten, Vernetzungspotenzial, Marketing-, Verkaufs- und Kommunikationsflair – gerade im Venture-Geschäft – vermehrt Beachtung zu schenken. Trotz Finanzkrise und noch härterem Kampf um Startkapital darf dieser entscheidende Sachverhalt nicht vergessen werden.

Das Beispiel European Investment Fund


Um das in jungen Unternehmen vorhandene Potenzial besser zu heben und gestärkt aus der Krise hervorzugehen, besteht konkreter Handlungsbedarf. Anstatt vieles dem Zufall zu überlassen, sollte eine nachhaltige, mit universitären Forschungsschwerpunkten verbundene Innovationspolitik mit nationalen Clustern erkennbar gemacht werden. Der private Sektor – über Business Angels bis zu Investorenvereinigungen und einzelnen gewichtigen Funds – leistet dabei bereits jetzt einen entscheidenden Beitrag durch gezielte Investitionen in ausgewählten Branchen (Medtech, Biotech, Pharma, ICT). Erfolgreich geht die Europäische Kommission mit dem Vehikel European Investment Fund (EIF) Vgl. www.eif.europa.eu/venture/activity/index.htm . voran: In einem kleinen Team werden im Auftrag der European Investment Bank jene rund 300 VC-Fund Manager im EU-Raum ausgewählt, die mit Kapital (insgesamt stehen derzeit rund 7 Mrd. Franken zur Verfügung) unterstützt werden, um die Kommerzialisierung EU-interner Technologien in schätzungsweise mehr als 1500 Unternehmen zu fördern. Der Mitteleinsatz des EIF ist aber vielfach auf erhebliche privatwirtschaftliche Ressourcen – in der Regel in doppeltem Umfang der EIF-Investments – angewiesen. Dies stellt sicher, dass die Investment-Opportunitäten nach privatwirtschaftlichen VC-Kriterien selektiert werden. Diese wirtschaftliche Public-Private-Partnership-Lösung prägt eine kompetitive, wirkungsvolle Venture-Kultur im EU-Raum. Gleichzeitig wird mit dem Bestreben des EIF, jeweils nicht mehr als 10% bis 35% einer Jungunternehmung zu erwerben, jeder eingesetzte Euro stets mit zwei bis zehn Euro von priva-ter Seite – bei gleichen Abwärtsrisiken und demselben Aufwärtspotenzial – gehebelt. So betrachtet ist das mit dem EIF verbundene Kapital Auslöser für schätzungsweise 20 Mrd. Franken Co-Investments von privater Seite.

Schweiz: Mut zum Risiko fördern


In der Schweiz muss auch daran gearbeitet werden, dass vielversprechende Finanzierungen nicht durch ausgeprägte Risikoscheu ausbleiben. Eigene Firmengründungen stellen nicht nur träge Gewohnheiten in Frage; sie werden nicht selten auch mit Argwohn und Neid verfolgt und begleitet. Bereits jetzt zeigt sich, dass am Standort Schweiz viele Ideen mit hohem Potenzial an Wertschöpfung und Beschäftigungswirkung sowie innovationsbasierte Umsetzungspläne – sowohl unternehmensintern wie auch -extern als ausgelagerte Neugründung – nicht weiterverfolgt werden. Zur Erringung der Marktfähigkeit einer Innovation fehlt es in einem risikoaversen Umfeld oft am Risikokapital oder an der nötigen Risikobereitschaft. Auch mangelt es innerhalb von grundlagenforschungsorientierten Institutionen häufig am strategischen Flair und am kulturellen Willen, das Forschungsportfolio hinsichtlich marktfähiger Produkte und Dienstleistungen zu fokussieren.  Nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa findet man vielversprechende Technologien; auch das Geld ist in manchen Angel Groups vorhanden. Die Mentalität, dieses hier einzusetzen und unternehmerisch durchzuziehen, ist hingegen noch stark entwicklungsfähig. Aus fast allen Branchen gibt es erschreckende Beispiele, wie sich die Schweiz – so effizient sie im Erzielen von Inventionen ist – mit Forschungspreisen zufrieden gibt und bei der volkswirtschaftlich viel relevanteren Umsetzung von Ideen in Kundennutzen teils kläglich versagt.

Professionalisierung der Business Angels


Auch die Kultur unter Business Angels gilt es zu professionalisieren. Die meisten Business Angels sind zu 150% in ihrem Unternehmen beschäftigt und betrachten Seed-Finanzierungen eher als passive finanzielle Unterstützung. In den USA sind dagegen rund 50% der Business Angels frühpensionierte Unternehmer und Manager, die hauptberuflich ihren Angelfinanzierungen nachgehen und nach der klassischen Vorstellung von «Smart Money» Kapital und Wissen einbringen – stets in der unternehmerischen Hoffnung, dass man in einer extrem kompetitiven Wettbewerbslandschaft den Siebel, Google, Genentech, Amazon, Starbucks oder Yahoo der Zukunft hervorbringt. Vgl. Lukas André, Bewertung und Selektion von Hightech-Start-ups durch Venture-Capital-Gesellschaften und Business Angels, Seca Booklet 2/2009. In diesen Monaten ist für diese Szene auch das von der Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (Seca) als Vertragswerk aufgebaute Muster für Finanzierungsrunden publiziert worden. Weitere folgen bis Ende 2010 mit dem Ziel, möglichst viele Standards in der Frühphasenfinanzierung zu setzen und mittels geringerer Transaktionskosten sowie besserem Marktverständnis mehr Deals zu generieren. Dieser Effort darf in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Denn gerade heute ist es ein Gütezeichen für eine Volkswirtschaft, sogenannte Virgin Angels (also «Erstinvestoren») in erfahrene und erfolgreiche Business Angels zu wandeln.

Grafik 1 «Verfügbarkeit von Risikokapital zur Finanzierung von jungen Unternehmen»

Zitiervorschlag: Pascal Gantenbein, Maurice Pedergnana, (2009). Venture Capital in der Schweiz: Wie gefährdet sind Innovationen in der Schweiz durch die Finanzkrise. Die Volkswirtschaft, 01. November.