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«Die Kühe gehen dann zum Melken, wenn sie es wollen»

Bodenanalyse-Apps, Drohnen und Melkroboter: Die Digitalisierung hält auf den Bauernhöfen Einzug. Agrarökonom Robert Finger erklärt, wie neue Technologien das Tierwohl und den Umweltschutz stärken können.

«Die Kühe gehen dann zum Melken, wenn sie es wollen»

«An den Daten sind auch Rohstoffhändler interessiert.» Robert Finger in seinem Büro an der ETH Zürich. (Bild: Reto Probst / Die Volkswirtschaft)

Herr Finger, die Digitalisierung in der Landwirtschaft ist in Fachkreisen in aller Munde. Wie reagieren Landwirte darauf?


Das Interesse der Bauern an innovativen Lösungen ist gross. Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts als Teil des Nationalen Forschungsprogramms zur nachhaltigen Wirtschaft stehen wir zum Beispiel im engen Austausch mit Landwirten zum Thema Präzisionslandwirtschaft. Dabei geht es darum, die Bedürfnisse der Pflanzen mithilfe von Sensoren besser zu erkennen und Inputs dort präziser auszubringen, wo diese benötigt werden.

Wie funktioniert das konkret?


Mithilfe dieser Informationen passt der Landwirt zum Beispiel die Düngung in jedem Teil des Feldes dem Nährstoffbedarf der Pflanzen an. Dadurch spart er Kosten, und die Gewässer werden weniger belastet. In anderen Ländern ist diese Technologie bereits etabliert – die Schweiz steht hier am Anfang.

Warum wird also in der Schweiz dazu geforscht, wenn die Technologie bereits existiert?


Zum einen kann und muss die Technologie weiterentwickelt werden, um Landwirten verlässliche und präzise Informationen zu liefern. Im erwähnten Forschungsprojekt kommen zum Beispiel Drohnen zum Einsatz. Eine andere Herausforderung ist die Kleinräumigkeit. Die Präzisionslandwirtschaft kommt im Moment vor allem auf grossen Betrieben, etwa in den USA, zum Einsatz. Die Technologie ist oft für grössere Strukturen ausgelegt und für kleine Betriebe oft nicht erschwinglich. Gleichzeitig fordern die Konsumenten mehr Nachhaltigkeit.

Ist die Kleinräumigkeit ein Nachteil?


Nicht unbedingt. Kleinräumigkeit kann ja auch Vorteile bringen – zum Beispiel für Biodiversität, Kulturlandschaft und Besiedlung. Wir sollten daher nicht die Struktur der Landwirtschaft an die Technologie anpassen, sondern Technologien entwickeln, die die von uns gewünschte Landwirtschaft ermöglichen und stärken. Zudem ist die Landwirtschaft weltweit mehrheitlich klein strukturiert. Hier eine Vorreiterrolle in Technologie und Nachhaltigkeit zu spielen, birgt also grosse Potenziale.

Es wäre fahrlässig, die technischen Möglichkeiten nicht zu nutzen.

Was steht bei Ihrer Forschung in diesem Bereich im Vordergrund?


Wir Agrarökonomen interessieren uns vor allem, ob und wie sich die Technologie in der Praxis umsetzen lässt: Beschafft jeder Landwirt neue Technologien wie Drohnen, oder schliessen sich mehrere Bauern eines Dorfes zusammen? Oder bestellen sie die Dienstleistung bei einem Auftragsunternehmen? Uns interessiert zudem, welche Rolle die Agrarpolitik bei diesen Prozessen spielen kann und soll.

Wo kommen Drohnen bei uns bereits zum Einsatz?


Momentan werden Drohnen in der Schweiz beispielsweise genutzt, um Rehkitze in Wiesen zu erkennen – dies verhindert, dass die Tiere unter die Mähmaschinen geraten. Im Weinbau setzen Drohnen Pflanzenschutzmittel direkt über den Rebstöcken frei. Und in der biologischen Schädlingsbekämpfung arbeitet man ebenfalls bereits mit Drohnen.

Drohnen setzen zum Beispiel Schlupfwespen über Maisfeldern ab, die helfen, den Schädling Maiszünsler zu bekämpfen.


Genau. Schlupfwespen werden in der Regel mithilfe von Drohnen in tennisballgrossen Kugeln über dem Maisfeld ausgebracht. Die Schlupfwespen legen ihre Eier dann in die Eigelege der Maiszünsler und verhindern so deren Ausbreitung, ohne dass Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden müssen. Landwirte können die Dienstleistung bei einem externen Anbieter anfordern. Im Kanton Bern wird diese im Rahmen eines Pilotprojekts vom Bund gefördert.

Wie stark ist die Digitalisierung in der Landwirtschaft verbreitet?


Sie hat, wie überall in der Wirtschaft, in allen Betrieben Einzug gehalten. Die Landwirte erhalten Wetter- und Schädlingsprognosen auf ihren Smartphones, und administrative Schritte werden digitalisiert. Zudem sammeln moderne Geräte zunehmend automatisch Daten. Der springende Punkt ist aber, was man mit den gewonnenen Informationen macht. Wie kann man damit das Management verbessern? Hier besteht Nachholbedarf. Die angesprochene Präzisionslandwirtschaft wird in der Schweiz im Ackerbau noch wenig praktiziert, und auch in der Tierproduktion gibt es Potenziale. Auch Melkroboter, die das Melken automatisieren, sind noch selten.

Wie sieht die Verbreitung der Melkroboter in Zahlen aus?


Während in den Niederlanden bereits jeder vierte Betrieb einen Melkroboter einsetzt, ist es in der Schweiz circa jeder zwanzigste.

Ein niederländischer Anbieter stellt ganze Anlagen zur direkten Verarbeitung der Milch auf dem Hof her. Wie beeinflusst die Digitalisierung die Wertschöpfungsketten?


Dank solcher Technologien werden Teile der Wertschöpfungskette direkt auf den Betrieb geholt. Nach dem Melken mit dem Melkroboter wird die Milch in einer kleinen Anlage bearbeitet und verkaufsfertig in Flaschen abgefüllt. Dabei kann die Milch verschiedener Kühe separiert verarbeitet und angeboten werden. Das Produkt Milch wird so differenzierter und ist schneller, direkter beim Kunden. Die Landwirte können direkt an den Konsumenten herantreten und haben unter dem Motto «Jede Kuh schmeckt anders» ein zusätzliches Verkaufsargument. Für die Schweizer Landwirtschaft sind solche Mehrwerte durch höhere Qualität und Differenzierung besonders wichtig. Solange es nur um den undifferenzierten Rohstoff – zum Beispiel Zucker oder Weizen – geht, fehlt bei uns der komparative Vorteil gegenüber dem Ausland. Um Mehrwert zu schaffen, spielen auch Labelorganisationen wie IP Suisse und Bio Suisse eine wichtige Rolle.

Ist die Ertragssteigerung oberstes Ziel beim Melkroboter?


Nein, es geht nicht darum, mehr, sondern besser und effizienter zu produzieren. Mit Melkrobotern wird schwere körperliche Arbeit ersetzt, und Landwirte können ihre Arbeitszeit flexibler einsetzen. Zudem gibt es positive Effekte auf das Tierwohl. Kühe gehen dann zum Melken, wenn sie es wollen, nicht wenn der Landwirt dafür Zeit hat. Zudem kann dank der gesammelten Daten die Kontrolle der Tiergesundheit verbessert werden.

Das Interesse der Bauern für die neuen Technologien ist vorhanden. Aber sind die Bauern bereit für diesen Wandel?


Ja. Heute braucht ein Landwirt ein anderes Know-how als vor 30 Jahren, auch aufgrund neuer Technologien. Jedoch können und werden Landwirte in Zukunft nicht alle Daten selbst eigenhändig verknüpfen und analysieren. Private Anbieter wie zum Beispiel Saatgutunternehmen wie Monsanto, Maschinenhersteller wie John Deere, aber auch viele Start-ups entwickeln Managementinformationssysteme, die dies übernehmen. Die Idee: Der Bauer erhält zum Beispiel auf seinem Tablet aufgrund von Wetter- und Bodenanalysen Empfehlungen, wo er Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausbringen muss. Gleichzeitig werden immer mehr Arbeitsschritte automatisiert. Das Spin-off Ecorobotix der ETH Lausanne hat beispielsweise einen Roboter entwickelt, der das Unkraut autonom erkennt und bekämpft.

Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz in der Agrarforschung?


Eine immer grössere – auch Ecorobotix arbeitet damit. Ein anderes Beispiel ist die Anwendung künstlicher Intelligenz, um auf Satellitenbildern zu erkennen, welche Pflanzensorten sich wo befinden und wie die Ertragsentwicklungen sind. An diesen Daten sind auch Rohstoffhändler interessiert: Wenn man weiss, wie viele Hektaren Weizen in der Welt angebaut werden und wie gross die Erträge sein werden, lassen sich die Preise besser vorhersagen. Da entstehen neue Geschäftsfelder. Für die Agrarpolitik ist diese Art von Daten ebenfalls interessant – es müssen vielleicht bald keine Kontrollen mehr durchgeführt und Formulare versandt werden.

Wem gehören die Daten, die ein Traktor sendet?

Welche äusseren Zwänge treiben die Digitalisierung in der Schweiz an?


Die Schweizer Landwirtschaft setzt auf Nachhaltigkeit. Es wäre fahrlässig, die technischen Möglichkeiten nicht zu nutzen: Dank der Digitalisierung lässt sich potenziell der ökologische Fussabdruck senken und die Produktion effizienter machen. Hinzu kommt das Monitoring: Die Agrarpolitik und Label-Organisationen können besser und billiger überprüfen, ob die Nachhaltigkeitsvorgaben und Auflagen eingehalten werden. Der Staat kann kontrollieren, ob die Vorgaben eingehalten worden sind: Flächennutzung, Bodenbearbeitung, Auslauf der Kühe, all das wird wesentlich transparenter werden. Solche Anwendungen werden die Beziehung Staat – Landwirt verändern.

In der Agrarpolitik fand eine Verlagerung von der Marktpreisstützung zu den Direktzahlungen statt. Was bedeutet das für die fortschreitende Digitalisierung?


Die Direktzahlungen sind oft auch mit Umweltvorgaben verknüpft. Umweltfreundliche Technologien werden also begünstigt.

Die Agrarpolitik 22+ befindet sich in der Vernehmlassung. Der Bundesrat will die Digitalisierung in der Landwirtschaft vorantreiben. Wie soll das gehen?


Der Bund hat die Tür für Innovationen geöffnet. So gibt es momentan diverse Pilotprojekte, in denen auch innovative Ansätze gezielt getestet werden. Dies beinhaltet die erwähnten Drohnen, die Schlupfwespen aufs Maisfeld fliegen, aber auch Anwendungen der Präzisionslandwirtschaft. Neben dem Subventionieren von Technologien könnten kritische Inputs wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel auch durch Lenkungsabgaben verteuert werden – was neue Technologien attraktiver machen würde.

Gibt es Datenschutzbedenken im Zuge der Digitalisierung?


Ja klar. Es kommt aber darauf an, welche Daten erhoben werden. Der Auslauf einer Kuh ist vermutlich weniger heikel als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Auch die Landwirte haben Einwände, da sie ja nicht dauernd kontrolliert werden möchten. Umgekehrt scheint eine gewisse Transparenz bei Direktzahlungen gerechtfertigt. Bedenken gibt es auch hinsichtlich der Datenhoheit: Wem gehören die Daten, die zum Beispiel ein Traktor sendet? In der Schweiz werden aktuell zwei Plattformen zum sicheren Datenaustausch entwickelt, aber auch im Ausland gibt es diverse Entwicklungen. Der Staat kann mit klaren Regeln den Datenschutz gewährleisten. Technologische Entwicklungen, wie zum Beispiel die Blockchain, werden hier in Zukunft eine Rolle spielen.

Wie wird die Schweizer Landwirtschaft in 20 Jahren aussehen?


In 20 Jahren werden die Höfe stärker digitalisiert und vernetzt sein. Tierwohl und Umweltschutz werden dank digitalen Lösungen stärker berücksichtigt sein. Umgekehrt sind immer mehr neue private Anbieter involviert. Neue Technologien rufen aber auch Ängste hervor. Der Roboter als Feindbild, der das Handwerk zerstört, ist so ein Beispiel. So hat die Branchenorganisation Walliser Raclette AOP vergangenes Jahr ein Melkroboter-Verbot ausgesprochen. Die Technologieablehnung haben wir schon bei den gentechnisch veränderten Organismen gesehen. Auch dort geht es um eine Technologie, die wissenschaftlich gesehen viele Mehrwerte bringt – und dennoch auf Widerstand stösst.

Wie ernst muss man diese Widerstände nehmen?


Es lohnt sich, den Kritikern zuzuhören. Der Widerstand hat auch gute Seiten. Er hilft, einen Digitalisierungsschritt so umzusetzen, dass Probleme adressiert und Mehrwert identifiziert werden muss. Digitalisierung in der Landwirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern muss allen Involvierten Vorteile bringen.

Zitiervorschlag: Nicole Tesar (2019). «Die Kühe gehen dann zum Melken, wenn sie es wollen». Die Volkswirtschaft, 22. Februar.

Robert Finger

Der 37-jährige Wirtschaftsprofessor Robert Finger leitet seit 2016 die Gruppe für Agrarökonomie und -politik an der ETH Zürich. Er untersucht, wie die Digitalisierung das Management von Landwirtschaftsbetrieben verändert. Nach der Dissertation an der ETH Zürich forschte er an der niederländischen Universität Wageningen und an der Universität Bonn. Aufgewachsen ist er im heutigen Bundesland Brandenburg.