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«Selbst die Gegner können sich der Blockchain nicht verweigern»

Der Investor Mathias Ruch sagt im Interview, weshalb sich die Blockchain-Technologie trotz dem Platzen der Bitcoin-Blase durchsetzen wird. Ein Indiz ist für ihn, dass bereits die Hälfte der weltweit hundert grössten Firmen sowie erste Banken eigene Blockchain-Projekte verfolgen.

«Selbst die Gegner können sich der Blockchain nicht verweigern»

Mathias Ruch über Zug: «Zug ist für das Crypto Valley das, was Palo Alto für das Silicon Valley ist.» (Bild: Reto Probst / Die Volkswirtschaft)

Herr Ruch, bisher war Zug bekannt für tiefe Steuern und Kirschtorten. Wieso siedeln sich gerade hier so viele Blockchain-Unternehmen an?


Steuern haben sicher eine Rolle gespielt, aber nicht die ausschlaggebende. Angefangen hat alles damit, dass sich 2013 das Blockchain-Unternehmen Ethereum in Zug niedergelassen hat. Das ist in etwa so, als hätte Google seine Garage nicht im Silicon Valley, sondern in Zug aufgebaut. Viele andere Start-ups sind diesem Vorbild gefolgt, und daraus hat sich ein Ökosystem aus Start-up-Firmen, Investoren, Anwälten und anderen Dienstleistern gebildet: das Crypto Valley. Seither haben Netzwerkeffekte eingesetzt, die weitere Firmen anziehen.

Aber wieso Zug? Waren die Regulierungen in Zug lascher als anderswo?


Nein, aber die liberale Haltung der Zuger Regierung half sicherlich. Dank der Industrie, die sich über die Jahre in Zug angesiedelt hat, ist man hier offen gegenüber Unbekanntem und fragt sich, wie man die Firmen unterstützen kann, anstatt sie einzuschränken. Wenn man die Blockchain-Unternehmen fragt, war das durchaus ausschlaggebend. Viele haben sich zwischen Singapur und Zug letztlich für Zug entschieden.

Was sprach für die Schweiz als Standort?


Wichtig war, dass die Schweizerische Finanzmarktaufsicht Finma im Vergleich zu anderen Ländern früh kommuniziert hat, dass man eine offene Haltung einnehmen und Blockchain-Geschäftsmodelle grundsätzlich tolerieren will. Das hat schon 2017 zu einer Art Rechtssicherheit geführt. Zwar keiner umfassenden, aber immerhin. Später folgten dann konkrete Richtlinien der Finma, welche für viele Firmen sehr wertvoll waren. Zudem hat die Schweiz ein attraktives Stiftungsrecht.

 

 

Die föderalistische Struktur der Schweiz war für die ausländischen Pioniere sehr inspirierend


 

Warum ist Letzteres entscheidend für die Blockchain-Firmen?


Das Schweizerische Stiftungsrecht legt die Besitzrechte in die Hände der Organisation selbst, der Zugriff von aussen wird damit erschwert. Und auch wenn es etwas kitschig tönt: Die föderalistische Struktur der Schweiz mit den Kantonen und Gemeinden – also dass zum Beispiel jeder Kanton die Schule und das Steuersystem nach seiner Vorstellung gestalten kann –, das war für diese ausländischen Pioniere sehr inspirierend. Diese Konsensmechanismen verbunden mit der dezentralen Struktur der Schweiz haben sie absolut fasziniert. Das war nicht unbedeutend, denn die ersten Kryptowährungen waren eine Art anarchistisches Projekt: Es ging darum, das Finanzsystem umzukrempeln und eine Machtverschiebung zu erreichen. Und dazu braucht es gemäss den Pionieren dezentrale Strukturen.

Heute gibt es auch in der Westschweiz und im Tessin Blockchain-Firmen. Ist das eine neue Entwicklung?


In der Schweiz existieren rund 750 Blockchain-Firmen, davon rund 400 im Raum Zug-Zürich. Da die ersten Anwendungen aus dem Finanzsektor kamen, machte es Sinn, dass sich diese Firmen im Finanzzentrum Zürich ansiedelten. Aber auch Genf ist sehr aktiv. Und es gibt spannende Entwicklungen im Tessin, in Neuenburg, in Glarus, Basel und Bern. Ein Grund dafür ist sicher, dass der frühere Bundesrat Johann Schneider-Ammann die Crypto Nation ausgerufen hat. Man hat sich auf die Fahne geschrieben, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle spielen soll. Das hat geklappt. Damit kleinere Hubs wie das Tessin oder Genf wachsen können, braucht es neben der Regulierung und der Steuersituation eine Community bestehend aus Start-ups, Dienstleistern, Universitäten und so weiter. Zug ist diesbezüglich auch heute noch das Herz dieser Community – sozusagen das, was Palo Alto für das Silicon Valley ist.

Sie sind Gründer und Chef von Crypto Valley Venture Capital in Zug, die es seit 2018 gibt und aus dem Start-up-Investor Lakeside Partners entstanden ist. Warum war die Zeit reif für den ersten Blockchain-Inkubator?


Wir haben festgestellt, dass die Projekte aus dem Crypto Valley im Vergleich zu anderen Start-ups einen sehr tiefen Reifegrad haben. Es macht keinen Sinn, jemandem 50 Millionen für eine Idee zu geben, die auf drei Seiten beschrieben ist, eine farbige Website hat und drei Leute, die sie umsetzen wollen. Deshalb wollten wir zuerst ins Ökosystem investieren und haben einen Co-Working-Space eröffnet. Wir haben uns gesagt: Sobald weitere Projekte hinzukommen und wenn alles etwas fundierter wird, wollen wir das Inkubationskonzept umsetzen. Erste Signale dafür haben wir Anfang 2018 beobachtet.

Was macht Ihr Unternehmen genau?


Wir investieren in die verschiedenen Stufen im Lebenszyklus eines Start-ups. In der Frühphase der Start-ups machen wir sogenannte Inkubation. Das heisst: Wir schauen uns weltweit rund 500 Blockchain-Start-ups an und wählen davon bis zu 20 Jungfirmen aus, die für ein zehnwöchiges Programm nach Zug kommen. Mit einem Mentorenprogramm wollen wir sie in zehn Wochen auf ein bestimmtes Level bringen, sie inhaltlich coachen und auch für rechtliche Aspekte sensibilisieren. Gerade bei Geschäftsmodellen mit sogenannten Tokens braucht es Know-how, das die meisten Start-ups unterschätzen. In jedes dieser Start-ups investieren wir bis zu 125’000 Franken; im Gegenzug erhalten wir Anteile.

Woher kommen diese Start-ups?


Die Mehrheit kommt aus Europa, aber es gibt auch Unternehmen aus den USA, China, Indien oder Afrika.

Und die Schweiz?


Die Schweiz führt die Liste mit knapp 20 Prozent aller Bewerbungen an. Gemessen an der Bevölkerungsgrösse der Schweiz ist das bemerkenswert.

Die Investoren investieren in Ihr Unternehmen und nicht in konkrete Projekte. Entscheiden Sie, welches Projekt wie viel Geld erhält?


Beides trifft zu. Aber grundsätzlich funktioniert auch Crypto Valley Venture Capital nach dem Modell, dass wir für unsere Investoren die Investmentopportunitäten aufspüren und dann für alle zusammen investieren, genauso wie bei einem Investmentfonds. Als Venture-Capital-Firma der nächsten Generation ist es uns besonders wichtig, etablierte Prozesse und Strukturen zu übernehmen. So gibt es natürlich auch bei uns ein Investitionskomitee, welches die Projekte auswählt. Die Investoren wissen im Vorfeld also genau, nach welchem System wir investieren.

Wer sind die Investoren?


Privatinvestoren, Family-Offices, aber auch Unternehmen. Einige sind aus der Dotcom-Ära, andere aus der Old Economy. Viele suchen eine Investitionsmöglichkeit, mit der sie breit in Blockchain-Projekte investieren können, ohne sich mit Details beschäftigen zu müssen. Die Komplexität in diesem noch jungen Bereich ist nicht zu unterschätzen. Hier bieten wir eine Art Sorglospaket für Investoren an.

 

 

Wissen Sie etwa bis ins Detail, wie Ihr Smartphone funktioniert?


 

Können Sie einem Laien in wenigen Worten erklären, was die Blockchain ist?


Eigentlich muss man nicht wissen, wie diese Technologie funktioniert. Oder wissen Sie etwa bis ins Detail, wie Ihr Smartphone funktioniert?

Nein. Aber ich höre mir gerne an, wie ein Experte die Blockchain erklärt.


Eigentlich ist keine der Technologien bei der Blockchain komplett neu. Es ist eine Kombination aus Technologien, die es seit Jahrzehnten gibt. Am wichtigsten ist die dezentrale Speicherung von Daten. Die Daten werden in einer identischen Form gleichzeitig auf verschiedenen Computern abgesichert. Je mehr Speicherorte in diesem System teilnehmen, desto mehr Kopien gibt es, und umso schwieriger ist es, diese Daten zu verändern.

Und welches sind die weiteren Technologien?


Da ist die Kryptografie: Dabei werden die Daten verschlüsselt und sind deshalb sehr sicher. Zudem gibt es noch sogenannte Konsensus-Algorithmen über das Ganze: Das heisst, wenn die teilnehmenden Rechner übereinkommen, dass ein Zustand stimmt, wird er auf allen Computern abgespeichert und ist überall identisch. Möchte jemand diesen Zustand ändern, müsste er die Mehrheit dieser Computer gleichzeitig angreifen. Das ist fast nicht möglich.

Wo liegt nun der zusätzliche Nutzen der Blockchain?


Sie macht Prozesse effizienter, macht Mittelsmänner überflüssig und bringt schliesslich Produkte und Dienstleistungen günstiger auf den Markt. Zudem braucht es keine Vertrauensbeziehung mehr zwischen zwei Vertragsparteien, weil die Technologie diese bereits integriert hat. Und schliesslich werden bisher bestimmten Eliten vorbehaltene Werte wie Aktien und Güter wie Immobilien durch die Tokenisierung und die Demokratisierung des Zugangs allen zugänglich gemacht. Ein Gründer sagte einmal: «Once you understand what the blockchain is you can’t sleep anymore.» Er meinte damit, dass man durch den Einsatz der Technologie beginnt, existierende Prozesse, Systeme und Rollen zu hinterfragen. Viele trauen deshalb der Blockchain auch zu, Demokratisierungsprozesse in Ländern loszutreten.

In welchen Bereichen sind die Schweizer Blockchain-Firmen aktiv?


Die Finanzdienstleistungen machen immer noch einen grossen Teil aus. Aber die Anwendungsmöglichkeiten sind breit. Bei Immobilien gibt es beispielsweise die Möglichkeit, mittels Blockchain die Finanzierung eines Hauses in kleinere Einheiten zu zerlegen und so die Zahl der möglichen Investoren zu vergrössern. Ein anderes Beispiel sind Landregister. Landbesitzer in Ländern, in denen Besitz nicht wie bei uns durch lange etablierte Systeme gesichert ist, könnten dann beweisen, dass ihnen das entsprechende Grundstück gehört. In unserem engsten Umfeld sind über 30 Branchen vertreten: Sie reichen von Datenanalyse bis Medien und Unterhaltung. Im Medienbereich geht es etwa um die Vergütung von Lizenzgebühren von Songs, die bisher sehr kompliziert organisiert war.

Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass die Blockchain unseren Alltag bestimmt.


Wahrscheinlich ist das so. Und wir sind in der privilegierten Schweiz vielleicht die Falschen, um das zu beurteilen. Wenn Sie aber in Botswana oder in Venezuela leben und weder die Möglichkeit haben, Ihre Identität zu beweisen, noch Zugang zum Finanzsystem haben noch Ihren Besitzanspruch geltend machen können – dann denken Sie vielleicht etwas anders über diese Themen. Wenn Sie bedenken, dass fast alle dieser Menschen heute ein Mobiltelefon haben und damit mittels digitaler Währungen wie Bitcoin Zugang zum Finanzsystem haben könnten, dann sehen Sie die Verheissung, die für viele in dieser Technologie steckt.

Viele Projekte sind ja erst Versprechungen für die Zukunft. Gibt es schon Unternehmen, die Geld damit verdienen?


Viele Blockchain-Projekte sind erst Zukunftsmusik. Hier in unserem Co-Working-Areal verdienen erst wenige Geld damit. Eine Ausnahme ist das Projekt Etherisc, das eine Flugversicherung für Flugverspätungen und -ausfälle anbietet. Mit wenigen Klicks kann man eine Versicherung für einen bestimmten Flug abschliessen. Gespeichert wird sie in einer Blockchain. Die Auszahlung erfolgt dann automatisch.

Es gab auch schon Rückschläge. Beispielsweise ist bei den Kryptowährungen letztes Jahr eine Blase geplatzt.


Ja, wenn der Kurs von knapp 20’000 auf 4000 Franken fällt, wie bei Bitcoin, dann ist das wahrscheinlich das Platzen einer Blase. Das ist aber auch gut so. Diese Korrektur war notwendig. Es war definitiv ein Hype-Thema. Tatsächlich gab es in den letzten Monaten auch kaum mehr Initial Coin Offerings in der Schweiz. Ich glaube zudem auch nicht, dass es weltweit 2000 verschiedene Kryptowährungen braucht.

Sehen Sie auch in der Blockchain-Technologie eine mögliche Blase?


Ich glaube nicht. Was die wenigsten wissen: Von den hundert grössten Firmen weltweit verfolgt die Hälfte eigene Blockchain-Projekte. Das zeigt uns, dass die Technologie vielversprechend ist. Über sie sind derart grosse Effizienzsteigerungen möglich, dass sich das hundertprozentig durchsetzen wird. Selbst die Gegner können sich der Blockchain nicht verweigern, nehmen Sie die Banken: Vor Kurzem hat die US-Bank JP Morgan Chase den JPM-Coin lanciert, um den Interbankentransfer abzuwickeln.

Der gegenwärtige Hype ist also nicht mit der Dotcom-Blase vergleichbar?


Die Dimensionen sind ganz unterschiedlich. Die Marktkapitalisierung in der Dotcom-Blase war rund ein Dutzend Mal grösser als bei der Blockchain. Ich glaube, die Blockchain ist ein Hypethema, klar. Wenn Freunde, die vorher keine Berührungspunkte mit Kryptowährungen hatten, plötzlich fragen, ob sie in Bitcoin investieren sollen, dann ist das ein Zeichen. Das Narrativ hat sich in den Medien aber verändert und setzt sich nun mit den realistischen Möglichkeiten der Technologie auseinander.

 

 

Ich wünsche mir für die kleine Schweiz, dass sie etwas grösser denkt.


 

Wohin geht die Blockchain-Reise 2019?


2019 ist ein Jahr der Bereinigung, der Blockchain-Bereich wird erwachsen. Ich erwarte zum Beispiel im Grundlagenbereich grosse Fortschritte. Gerade im Finanzbereich müssen die Strukturen erst den Bedürfnissen der wirklich grossen Mitspieler angepasst werden. Diese Infrastruktur entsteht jetzt. Im täglichen Leben werden wir das erst später, vielleicht in fünf Jahren spüren.

Sind die Banken also die Motoren oder die Gegner der Blockchain?


Das kommt sehr darauf an, wen Sie fragen. Einige Banken wie JP Morgan starten nach anfänglicher Skepsis eigene Grossprojekte. Andere, darunter auch Banken in der Schweiz, sehen mehr Risiken als Chancen und stecken den Kopf in den Sand. Ich persönlich wünsche mir für die kleine Schweiz, dass sie etwas grösser denkt, oder anders gesagt: etwas mehr Mut zum Risiko zeigt.

Zitiervorschlag: Nicole Tesar (2019). «Selbst die Gegner können sich der Blockchain nicht verweigern». Die Volkswirtschaft, 18. April.

Mathias Ruch

Der 42-jährige Mathias Ruch ist Mitgründer und Chef des ersten Blockchain-Investors der Schweiz, der Crypto Valley Venture Capital (CV VC) in Zug. Als Unternehmer und Investor ist Ruch seit 20 Jahren in der digitalen Start-up-Szene tätig. Er ist zudem Initiator, Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Expertenrats der Swiss Blockchain Federation, einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit dem Ziel, die Attraktivität der Schweiz als globale Blockchain-Drehscheibe zu fördern.