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Besteht Anpassungsbedarf bei der Schuldenbremse des Bundes?

Seit 2006 hat die Schuldenbremse zu einem deutlichen Abbau der Bundesschulden geführt. Die Eidgenössische Finanzverwaltung hat nun geprüft, ob ein Teil der strukturellen Überschüsse anstatt für den Schuldenabbau auch in zukünftigen Budgets verwendet werden könnte. Der Bundesrat hat sich gegen eine Anpassung entschieden.
Seit 2006 hat der Bund Überschüsse in der Höhe von 27,5 Milliarden Franken produziert. (Bild: Keystone)

In den Neunzigerjahren gerieten die Bundesfinanzen aus dem Gleichgewicht. Der Grund: die lange wirtschaftliche Stagnationsperiode. Innerhalb weniger Jahre führten Milliardendefizite zu einem starken Anstieg der Verschuldung. Diese wurde noch verstärkt durch die Ausfinanzierung der Pensionskassen des Bundes und der bundesnahen Betriebe. Als die Defizite weitgehend beseitigt waren, wurde die Schuldenbremse eingeführt. Die rechtliche Grundlage dazu, die mit dem Artikel 126 in der Bundesverfassung verankert ist, wurde im Jahr 2001 mit grosser Mehrheit vom Volk angenommen. Erstmals angewandt wurde die neue Fiskalregel auf das Budget 2003.

Die Schuldenbremse begrenzt die Ausgaben des Bundes beim Budgetieren auf das Niveau der strukturellen – das heisst um konjunkturelle Einflüsse bereinigten – Einnahmen. Das ermöglicht eine stetige Ausgabenentwicklung und verhindert eine Stop-and-go-Politik. Gleichzeitig wird die Finanzpolitik dadurch antizyklisch: Bei schlechter Konjunktur lässt die Schuldenbremse Defizite zu; bei guter Konjunktur müssen Überschüsse erzielt werden. So ist der Bundeshaushalt mittelfristig, das heisst über einen Konjunkturzyklus hinweg, ausgeglichen.

Ursachen des Schuldenabbaus


In der Praxis hat der Bundeshaushalt seit 2006 durchgehend strukturelle Überschüsse geschrieben. Das Mindestziel der Schuldenbremse – dass sich Defizite und Überschüsse über den Konjunkturzyklus hinweg ausgleichen –  wurde damit übertroffen. Das zeigt der Stand des Ausgleichskontos (siehe Kasten): Ende 2018 wies dieses einen positiven Stand von 27,5 Milliarden aus. Gleichzeitig widerspiegelt sich diese Zunahme des Ausgleichskontos in der Abnahme des Schuldenstands: Beliefen sich die Bruttoschulden im Einführungsjahr der Schuldenbremse noch auf 124 Milliarden, konnten sie bis 2018 auf knapp 100 Milliarden gesenkt werden (siehe Abbildung 1). Aufgrund des Wirtschaftswachstums im selben Zeitraum hat sich die Schuldenquote von 25,7 Prozent auf 14,4 Prozent zurückgebildet. Im Jahr 1990 – vor dem Schuldenanstieg der Neunzigerjahre – belief sich die Schuldenquote noch auf 10,8 Prozent.

Abb. 1: Entwicklung Bruttoschulden, Schuldenquote und Stand Ausgleichskonto des Bundes (1990–2018)




Quelle: EFV / Die Volkswirtschaft

Insgesamt lässt sich der heutige Stand des Ausgleichskontos in drei Komponenten aufteilen. Sie zeigen die Ursachen für die Überschüsse und den Schuldenabbau:

Erstens die budgetierten strukturellen Überschüsse. Sie stammen daher, dass jeweils bereits bei der Budgetierung kleine Überschüsse eingeplant werden. Bis 2018 summierten sich diese Überschüsse auf insgesamt 1,4 Milliarden Franken.

Zweitens kommen Prognosefehler bei den Einnahmen hinzu: Bis 2018 belief sich dieser Anteil auf 15,8 Milliarden Franken. Er kam zustande, weil die effektiven Einnahmen seit 2007 im Durchschnitt höher waren als budgetiert. Diese Mehreinnahmen sind fast vollständig auf die Verrechnungssteuer zurückzuführen (14,1 Mrd.). Pro Jahr beliefen sich die Prognosefehler der Einnahmen im Durchschnitt (2007–2018) auf rund 2,4 Prozent der budgetierten Einnahmen. Die Prognosefehler der übrigen Einnahmen und der Konjunktur glichen sich über die Zeit aus. Das Problem der Prognosefehler wurde erkannt: Um systematische Fehler bei der Einnahmenschätzung zu beseitigen, wird die Verrechnungssteuer seit 2012 mithilfe eines statistischen Trends budgetiert. Ohne Schätzfehler bei der Verrechnungssteuer beträgt die durchschnittliche jährliche Abweichung nur noch 0,3 Prozent.

Der dritte und letzte Grund für den positiven Stand im Ausgleichskonto sind die Überschätzungen der Ausgaben. Denn auf der Ausgabenseite fallen systematisch Budgetunterschreitungen an. Die Verwaltungseinheiten tendieren zu einer vorsichtigen Budgetierung, weil die vom Parlament genehmigten Budgetkredite nicht überschritten werden dürfen. Die Überschätzungen der Ausgaben beliefen sich zwischen 2007 und 2018 im Durchschnitt auf jährlich 1,8 Prozent der budgetierten Ausgaben. Dadurch entstand bis 2018 ein Überschuss von insgesamt 10,8 Milliarden Franken im Ausgleichskonto. Rechnet man diese drei Komponenten zusammen, resultiert 2018 ein positiver Stand von 27,5 Milliarden Franken.

Ergänzung der Schuldenbremse?


Vor dem Hintergrund des Schuldenabbaus erteilte der Bundesrat dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) im Jahr 2016 mehrere Aufträge, um eine Ergänzung der Schuldenbremse zu prüfen. Mit einer solchen Ergänzung auf Gesetzesebene würde ein Teil der am Jahresende anfallenden strukturellen Überschüsse in den zukünftigen Budgets verwendet, anstatt diese dem Ausgleichskonto gutzuschreiben. Der zusätzliche Spielraum könnte so entweder für höhere Ausgaben oder zur Kompensation von tieferen Einnahmen verwendet werden.

Das EFD setzte 2017 im Auftrag des Bundesrates eine externe Expertengruppe ein. Sie hatte den Auftrag, eine Ergänzung der Schuldenbremse aus volkswirtschaftlicher Sicht zu beurteilen und Empfehlungen abzugeben. Im Fokus standen dabei die systematisch anfallenden Budgetunterschreitungen bei den Ausgaben. Die Expertengruppe ging in ihrem Gutachten von 2017[1] davon aus, dass die Budgetunterschreitungen in Zukunft abnehmen dürften. Einerseits werden Aufschläge auf den Nennwert einer Anleihe – sogenannte Agios – seit 2017 in der Finanzierungsrechnung periodengerecht auf die Laufzeit der Anleihe verteilt, sodass die damit verbundenen Budgetunterschreitungen von durchschnittlich 270 Millionen pro Jahr (2007–2016) nicht mehr anfallen. Andererseits wurden 2017 mit dem Neuen Führungsmodell für die Bundesverwaltung (NFB) Globalbudgets für die Verwaltungseinheiten eingeführt. Dies dürfte dazu führen, dass sich die Budgetunterschreitungen im Eigenbereich reduzieren. Denn die Budgets können so einfacher ausgeschöpft werden und es besteht ein geringerer Anreiz für Budgetreserven.

Insgesamt kam die Expertengruppe zum Schluss, dass ein weiterer Schuldenabbau durchaus erwünscht sein kann. Der Finanzierungsbedarf des Bundes ist zurzeit durch die bestehenden Steuereinnahmen ausreichend gedeckt. Zudem sind die Budgetunterschreitungen eher ein Zeichen dafür, dass die Steuer- und Abgabenbelastung höher ist als notwendig. Sollten die Budgetunterschreitungen entgegen den Erwartungen «nachhaltig und beträchtlich» bleiben, empfehlen die Experten, eine Anpassung der Schuldenbremse im Zusammenhang mit einer Steuerreduktion zu prüfen.

Zukünftige Entwicklung der strukturellen Ergebnisse


Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) geht davon aus, dass sich bei den Einnahmen die Über- und Unterschätzungen in Zukunft ausgleichen. Seit Einführung der neuen Schätzmethode für die Verrechnungssteuer ab dem Budget 2012 wurden die Bundeseinnahmen im Total nur noch um 0,5 Prozent zu tief budgetiert. Gewisse Budgetunterschreitungen auf der Ausgabenseite dürften aber auch in Zukunft anfallen, was zu einem weiteren Schuldenabbau führen wird.

Von besonderem Interesse ist deshalb die Höhe der zukünftigen Budgetunterschreitungen. Für diese Beurteilung haben wir die Budgetunterschreitungen der Vorjahre um die Agios korrigiert, da diese seit 2017 nicht mehr zu namhaften Minderausgaben führen. Zudem wurden die Budgetabweichungen von direkt einnahmenabhängigen Ausgaben abgezogen, da sich diese mit den Einnahmen auf Dauer ausgleichen. Solche abhängigen Ausgaben sind etwa die Anteile der Kantone und der AHV/IV an den Bundeseinnahmen sowie die Rückverteilungen aus den Lenkungsabgaben an Wirtschaft und Bevölkerung.

Die so berechneten Budgetunterschreitungen beliefen sich im Zeitraum 2007 bis 2018 auf durchschnittlich 1,7 Prozent oder 1,1 Milliarden pro Jahr. Die Budgetunterschreitungen schwanken allerdings von Jahr zu Jahr stark (siehe Abbildung 2). Auffällig hohe Abweichungen sind oft auf grössere Einzelfälle zurückzuführen. So fielen in den Jahren 2010 und 2014 beispielsweise hohe Budgetunterschreitungen bei den Rüstungsausgaben an. In den letzten drei Jahren bewegten sich die Budgetunterschreitungen auf einem Niveau von rund 800 Millionen oder 1,2 Prozent der budgetierten Ausgaben. Ob darüber hinaus die Budgetunterschreitungen im Eigenbereich durch die 2017 eingeführten Globalbudgets tiefer ausfallen werden, ist aufgrund der kurzen Periode seit der Einführung noch offen.

Abb. 2: Entwicklung der Budgetunterschreitungen des Bundes (2007–2018)




Quelle: EFV / Die Volkswirtschaft

Vorteile eines weiteren Schuldenabbaus


Weder das optimale Ausmass der Verschuldung noch die Vor- und Nachteile einer weiteren Schuldenreduktion lassen sich wissenschaftlich genau ermitteln. Obwohl sich ein optimaler Verlauf des Schuldenpfades nicht herleiten lässt, hat die Schuldenreduktion unübersehbare Vorteile: Sie erhöht nämlich die Widerstandsfähigkeit der Schweiz gegenüber Wirtschafts- und Finanzkrisen und verbessert die Ausgangslage zur Bewältigung der wachsenden demografischen Belastungen (z. B. Altersvorsorge). Gleichzeitig schafft sie über die Entlastung bei den Zinsausgaben zusätzlichen finanzpolitischen Handlungsspielraum. Seit 2007 sind die Zinsausgaben wegen der sinkenden Zinssätze und der Schuldenreduktion von 3,8 Milliarden auf 1,2 Milliarden im Jahr 2018 zurückgegangen. In diesem Umfang konnten Ausgaben für andere Bereiche getätigt werden.

Gerade die Bundesausgaben für Bildung und Forschung sowie für die Verkehrsinfrastruktur sind in den letzten Jahren stark gewachsen. 2018 lagen sie um 55 respektive 41 Prozent höher als noch 2007, während die nominale Wirtschaftsleistung der Schweiz um 20 Prozent angestiegen ist. Die im internationalen Vergleich sehr guten Beurteilungen der Hochschulen und der Verkehrsinfrastruktur deuten darauf hin, dass der finanzielle Spielraum gut genutzt worden ist. Könnten wegen eines Schuldenabbaus die nötigen Investitionen in Bildung und Infrastruktur nicht getätigt werden, wäre dies schädlich. Doch davon kann in der Schweiz keine Rede sein.

Der Bund kann seine laufenden Ausgaben, seine Investitionen und auch das Wachstum in prioritären Aufgabengebieten durch die bestehenden Steuereinnahmen ausreichend decken. Vor diesem Hintergrund hat sich der Bundesrat an seiner Sitzung vom 22. Mai 2019 gegen eine Anpassung der Schuldenbremse ausgesprochen. Die Budgetunterschreitungen werden somit auch künftig in den Schuldenabbau fliessen.

  1. Siehe Gutachten zur Ergänzung der Schuldenbremse der Expertengruppe Schuldenbremse vom 28. August 2017 auf Admin.ch. []

Zitiervorschlag: Michael Schuler, Stephan Aeschlimann, (2019). Besteht Anpassungsbedarf bei der Schuldenbremse des Bundes. Die Volkswirtschaft, 24. Juni.

Ausgleichskonto: Das Gedächtnis der Schuldenbremse

Nach dem Jahresabschluss wird die Schuldenbremse aufgrund der tatsächlichen Einnahmen und Wirtschaftsentwicklung sowie der effektiv getätigten Ausgaben neu berechnet. Werden die Vorgaben übertroffen, wird der sogenannte strukturelle Überschuss dem Ausgleichskonto gutgeschrieben. Beim Ausgleichskonto handelt es sich nicht um ein Konto im buchhalterischen Sinn, sondern um eine Statistik, in der die Abweichungen von den Vorgaben der Schuldenbremse festgehalten werden. Ein Defizit des Ausgleichskontos muss wieder kompensiert werden. Ein positiver Stand schafft Spielräume, um negative Ergebnisse aufzufangen.