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Robuster Schweizer Arbeitsmarkt – weiteres Potenzial besteht

Eine Stärke des Schweizer Arbeitsmarktes ist seine Flexibilität: Wie gelingt es, mehr Frauen, Ältere und Arbeitslose zu integrieren?
Fachkräftemangel: Bei Rentnern ist noch Arbeitskräftepotenzial vorhanden. (Bild: Shutterstock)

Im internationalen Vergleich befindet sich der Schweizer Arbeitsmarkt in einer sehr guten Verfassung. Die Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen liegt mit 84 Prozent deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 73 Prozent. Auch die «Erwerbslosenquote»[1] gemäss Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) ist im internationalen Vergleich mit 4,4 Prozent vergleichsweise tief. Die «Arbeitslosenquote»[2] gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verzeichnete im vergangenen Jahr mit 2,3 Prozent den tiefsten Stand seit rund 15 Jahren, und die Zahl der Beschäftigten ist mit 5,1 Millionen so gross wie noch nie (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (2010 bis 2019, saisonbereinigt)




Quelle: BFS, Besta / Seco / Die Volkswirtschaft

Darüber hinaus liegen die Schweizer Löhne im europäischen Vergleich kaufkraftbereinigt an der Spitze[3] und sind relativ ausgewogen verteilt. Zudem sind Erwerbstätige im Falle einer Arbeitslosigkeit gut versichert.

Eine Herausforderung ist allerdings der Fachkräftemangel. Dieser ist in Ingenieurberufen, Managementberufen, technischen Berufen und Gesundheitsberufen besonders ausgeprägt. Dessen Bewältigung wird auch aufgrund der demografischen Alterung zu einer Daueraufgabe. Daher muss das inländische Arbeitskräftepotenzial künftig noch besser ausgeschöpft werden. Wie ist dies zu bewerkstelligen?

Mehr Frauen in den Arbeitsmarkt


Eine Möglichkeit ist die bessere Arbeitsmarktintegration von Frauen. In den letzten Jahren hat deren Erwerbsbeteiligung kontinuierlich zugenommen. Mittlerweile sind rund 80 Prozent der 15- bis 64-jährigen Frauen erwerbsaktiv. Zum Vergleich: Im Jahr 1999 waren es erst 72 Prozent. Diese Entwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit der gleichzeitig erfolgten Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. Im vergangenen Jahr arbeiteten 63 Prozent der erwerbstätigen Frauen Teilzeit, was einem Anstieg um 7 Prozentpunkte gegenüber 1999 entspricht. Im europäischen Vergleich finden sich einzig in den Niederlanden mehr teilzeitbeschäftigte Frauen (75%) als in der Schweiz. Der EU-Durchschnitt liegt bei 32 Prozent.

Wie lässt sich die Integration der Frauen im schweizerischen Arbeitsmarkt weiter vorantreiben? Das grösste Potenzial bergen Pensenerhöhungen. Da sich unter den Teilzeiterwerbstätigen besonders viele Mütter finden, spielen Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine zentrale Rolle.

Im Rahmen der Fachkräftepolitik des Bundes befindet sich aktuell etwa ein Aktionsplan zur Unterstützung und Entlastung von betreuenden und pflegenden Angehörigen in Umsetzung.[4] Gleichzeitig werden Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt; zudem sind steuerliche Erleichterungen geplant.

Der Trend zeigt dabei nach oben: In den vergangenen 25 Jahren halbierte sich der Anteil der nicht erwerbstätigen Mütter auf 20 Prozent. Gleichzeitig arbeiteten 2018 bereits 63 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit einem Stellenpensum von mehr als 50 Prozent.

Länger arbeiten


Ein zweiter Fokus liegt auf den älteren Personen, die es länger im Arbeitsmarkt zu halten gilt. Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in der Schweiz ist mit 73 Prozent eine der höchsten im Vergleich mit OECD-Ländern. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Seco bestätigt, dass die Erwerbsbeteiligung der über 50-Jährigen über die letzten 20 Jahre auf Grund einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen deutlich angestiegen ist.[5] Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre darf dies als Erfolg gewertet werden.

Im Kontrast zur hohen Erwerbsbeteiligung vor dem Rentenalter, sinkt die Erwerbsbeteiligung rund um das Erreichen des ordentlichen Rentenalters in der Schweiz besonders stark und liegt danach unter dem OECD-Durchschnitt. Zwar stieg auch die Erwerbsbeteiligung von Personen im Pensionsalter über die letzten Jahre tendenziell an – dennoch war im Jahr 2018 nur knapp jeder fünfte 65- bis 74-Jährige noch erwerbstätig, viele von ihnen mit einem kleinen Pensum. Das lässt vermuten, dass das Erwerbspotenzial von gesunden, grundsätzlich zur Erwerbstätigkeit motivierten Personen im Rentenalter heute nicht ausgeschöpft wird.

Arbeitskräfte, die freiwillig über das ordentliche Rentenalter hinaus erwerbstätig bleiben, könnten mit ihrer Erfahrung und ihrem Know-how einen Beitrag zur Abfederung des Fachkräftemangels leisten. Dass ein Teil der Arbeitnehmenden grundsätzlich an einer Fortsetzung der Erwerbstätigkeit im Rentenalter interessiert wäre, macht eine Online-Befragung des Beratungsunternehmens Deloitte Schweiz deutlich.[6] Eine Studie im Auftrag des Seco zeigt Möglichkeiten auf, wie Anreize zur Erwerbstätigkeit über das Rentenalter verstärkt werden könnten.[7]

Drittens gilt es auch das Potenzial bei arbeitslosen Personen bestmöglich auszuschöpfen. Darauf zielen die aktive Arbeitsmarktpolitik der Arbeitslosenversicherung sowie die öffentliche Arbeitsvermittlung ab. Auch die 2018 eingeführte Stellenmeldepflicht für Berufe mit einer hohen Arbeitslosenquote stellt für Personen, die bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gemeldet sind, eine Chance dar.

Kurze Arbeitslosigkeitsdauer


Arbeitslosigkeit hat viele Gesichter. Bei den RAV gibt es innerhalb eines Jahres zahlreiche Ein- und Austritte bei der Arbeitslosigkeit wie auch Übergänge zwischen verschiedenen Erwerbssituationen.

Ein Jahr nach dem ersten Taggeldbezug gehen bereits zwei Drittel der Arbeitslosen wieder einer bezahlten Tätigkeit nach (siehe Abbildung 2). Nach einem weiteren Jahr steigt der Anteil der Erwerbstätigen nochmals und beträgt 74 Prozent. Gleichzeitig verlieren einige Personen wieder ihre Stelle und beziehen erneut Leistungen der Arbeitslosenversicherung (ALV) oder ziehen sich aus dem Arbeitsmarkt zurück. Bei einem Teil von ihnen ist dies mit dem Bezug einer IV-Rente oder von Sozialhilfe verbunden. Nur rund ein Viertel der Arbeitslosigkeitsepisoden dauert länger als ein Jahr, wobei die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt mit zunehmender Arbeitslosigkeitsdauer schwieriger wird. Ist jemand länger als ein Jahr bei einem RAV registriert, gilt er als langzeitarbeitslos.

Abb. 2: Entwicklung der Erwerbssituation von Personen, die 2014 arbeitslos wurden




Anmerkung: Dargestellt ist die Entwicklung des Erwerbsverlaufs der Personen, die 2014 eine neue Rahmenfrist bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) eröffnet haben. Mit einer Rahmenfrist ist eine zweijährige Zeitdauer gemeint, innerhalb derer Taggelder bezogen werden können. Die Daten wurden punktuell – jeweils ein Jahr, zwei Jahre und drei Jahre nach Eintritt in die Arbeitslosigkeit – ausgewertet. Als «arbeitslos» gelten Personen, die Taggelder der ALV erhalten und nicht erwerbstätig sind. «Erwerbstätige» haben einen Lohn für eine berufliche Tätigkeit erhalten. Zur Kategorie «Sozialhilfe, IV» gehören Invalidenrenten- und Sozialhilfebeziehende, die weder arbeitslos noch erwerbstätig sind.

Was tut die öffentliche Arbeitsvermittlung?


Langzeitarbeitslosigkeit ist für die Betroffenen oft belastend. Zudem führt sie häufiger zu einem vollständigen Austritt aus dem Arbeitsmarkt und ist auch für die wieder Erwerbstätigen oft mit erheblichen Einkommenseinbussen oder mit einem Rückgang des Beschäftigungsgrades verbunden. Diesen Zusammenhang bestätigt eine weitere aktuelle Untersuchung.[8] Die Vermeidung und Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit und anschliessenden Aussteuerungen hat für die Arbeitsmarktpolitik seit jeher eine hohe Priorität. Die Förderung einer raschen und nachhaltigen Eingliederung von Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt gehört neben der Bereitstellung eines angemessenen Ersatzeinkommens zum Grundauftrag der Arbeitslosenversicherung.

Um dieses Ziel zu erreichen, stellt die Arbeitslosenversicherung Stellensuchenden verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung. Beispielsweise fördert sie durch Finanzierungsbeiträge Beschäftigungs- und Qualifizierungsmassnahmen. Mit diesen sogenannten arbeitsmarktlichen Massnahmen unterstützen die RAV die Vermittelbarkeit und die Arbeitsmarktfähigkeit von Arbeitslosen. Sie richten sich per Gesetz an arbeitslose Personen, die erschwert vermittelbar sind. Da ältere Arbeitslose öfters mehr Mühe bekunden, rasch eine Stelle zu finden, wurde bei der 4. Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) von 2011 für Personen ab 55 Jahren auf eine Senkung der maximalen Bezugsdauer verzichtet.

Die oben erwähnten Untersuchungen bestätigen, dass die Wiedereingliederung von älteren Arbeitslosen  besonders anspruchsvoll ist. Schwer vermittelbare Personen und insbesondere schwer vermittelbare ältere Personen sollen deshalb in den kommenden Jahren in Form eines zielgerichteten Programms noch stärker unterstützt werden als bereits heute.[9] Die kantonalen Vollzugsstellen erhalten von 2020 bis 2022 zusätzliche finanzielle Mittel vom Bund, die sie im Rahmen ihrer Vollzugsfreiheit für massgeschneiderte Zusatzmassnahmen wie beispielsweise Beratung, Coaching und Mentoring einsetzen können. Damit kann den Bedürfnissen von Arbeitslosen mit besonders grossen Schwierigkeiten noch verstärkt Rechnung getragen werden.

Trotz berechtigtem Fokus auf ältere Arbeitslose darf nicht ausgeblendet werden, dass die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit über alle Altersgruppen sehr heterogen sind. Entsprechend gibt es für die RAV bei der Arbeitsintegration keine Normstrategie. Die Integration von älteren Arbeitslosen ist zwar oft deutlich erschwert – wenn aber Erfolgsfaktoren vorliegen, kann eine Wiedereingliederung genauso gut gelingen wie bei jüngeren. Zu diesem Schluss kommt eine weitere aktuelle Studie.[10] Sie zeigt, dass die RAV-Beratenden die Situation der Stellensuchenden individuell abklären und Massnahmen nach Bedarf einsetzen.

Nicht immer führen diese Massnahmen zum gewünschten Ergebnis, doch lassen sich durchaus Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren identifizieren, an denen sich die öffentliche Arbeitsvermittlung orientieren kann. Damit diese eine Wirkung zeigt, müssen sich Erwerbslose bei einem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum anmelden. Eine solche Anmeldung ist auch möglich, wenn kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung besteht.

  1. Anteil aller Erwerbslosen an den Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose). []
  2. Anteil der bei einem RAV gemeldeten Stellensuchenden an den Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose). []
  3. BFS (2019): S. 21. []
  4. Bundesrat (2019b). []
  5. Vgl. Beitrag von Boris Kaiser (BSS), Michael Siegenthaler (ETH-KOF) und Thomas Möhr (BSS) in dieser Ausgabe. []
  6. Vgl. Beitrag von Luc Zobrist und Michael Grampp (Deloitte). []
  7. Vgl. Beitrag von Mirjam Suri und Miriam Frey (BSS). []
  8. Vgl. Beitrag von David Liechti (BSS) und Michael Siegenthaler (KOF). []
  9. Bundesrat (2019a). Vgl. Beitrag von Isabel Schirmer (Seco) und Sabina Giger (SBFI). []
  10. Vgl. Beitrag von Marcel Egger (Egger, Dreher und Partner), Michael Mattmann (Ecoplan) und Michael Marti (Ecoplan). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Stefan Leist, Amélie Speiser, (2020). Robuster Schweizer Arbeitsmarkt – weiteres Potenzial besteht. Die Volkswirtschaft, 25. Februar.