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Wie funktioniert der Finanzmarkt?

Auf dem Schweizer Kreditmarkt beträgt das von inländischen Banken an inländische Schuldner vergebene Kreditvolumen fast das Doppelte des BIP. Der Kreditmarkt spielt – zusammen mit dem Kapitalmarkt – eine wichtige Rolle bei der Geldbeschaffung von Unternehmen.
Die Schweizer Börse SIX ist die viertgrösste Wertpapierbörse Europas. Hauptsitz in Zürich. (Bild: Keystone)

An den Finanzmärkten treffen Angebot und Nachfrage aufeinander. Auf der Angebotsseite wird Kapital angelegt – auf der Nachfrageseite Kapital aufgenommen.

Finanzmärkte stellen fünf gesamtwirtschaftlich wichtige Funktionen sicher. Erstens werden über den Finanzmarkt die Angebots- und Nachfragevolumina gebündelt. Man spricht hier von einer sogenannten Losgrössentransformation. So fassen Banken beispielsweise viele kleine Sparguthaben zusammen und vergeben grössere Kredite. Zweitens findet eine «Fristentransformation» statt: Banken können kurzfristige Kundengelder als Kredite mit längerer Laufzeit ausleihen.

Drittens bewirken Finanzmärkte eine Risikotransformation. Während eine Bank die Sicherheit der Spareinlagen garantiert, leiht sie diese gegen einen Risikozuschlag an Kreditnehmer aus. Wichtig ist: Die Sparer selber wären nicht bereit, das entsprechende Risiko selber zu tragen. Viertens erfüllen Finanzmärkte eine Informationsfunktion, indem sie eine Vielzahl an Informationen wie Kurse und Zinssätze generieren. Und fünftens schliesslich sorgen Finanzmärkte für eine effiziente Mittelallokation.

Der Finanzmarkt besteht unter anderem aus den monetären Teilmärkten Kreditmarkt, Geldmarkt und Kapitalmarkt. Auf dem Kreditmarkt betreiben die Banken als wichtigste Schweizer Finanzintermediäre das Kreditgeschäft. Bei der Kreditfinanzierung nimmt eine Bank auf der einen Seite Passivgelder entgegen oder schafft dieses Geld sozusagen selber und leiht die Gelder auf der Aktivseite der Bilanz in der gewünschten Form als Kredite wieder an Unternehmen, den Staat oder private Haushalte aus. Die Kapitalvermittlung auf dem Kreditmarkt erfolgt in Form von individualisierten Transaktionen. Die Bank tritt gegenüber den Einlegern und auch gegenüber den Kreditnehmern als Vertragspartei in eigenem Namen und auf eigene Rechnung auf. Gemäss der Schweizerischen Nationalbank (SNB) beliefen sich die von Banken in der Schweiz vergebenen Kredite an inländische Schuldner Ende 2019 auf 1,2 Billionen Franken. Dies entspricht beinahe dem doppelten Bruttoinlandprodukt (BIP).

Das Kreditvolumen der von Banken in der Schweiz vergebenen Kredite an inländische Schuldner nahm im Jahr 2019 netto um rund 38 Milliarden Franken zu. Dies entspricht einem Plus von 3,3 Prozent gegenüber Ende 2018. Das grösste Wachstum verzeichneten die Hypothekarkredite (+32 Milliarden Franken), währenddem das Kreditvolumen in den Jahren 2008 bis 2019 um 367 Milliarden Franken anstieg.

Geld- oder Kapitalmarkt?


Kredit- und kapitalsuchende Marktteilnehmer sind jedoch nicht ausschliesslich auf den Kreditmarkt angewiesen. Es finden auch Transaktionen auf öffentlichen Finanzmärkten statt. Dort erfolgt die Vermittlung jedoch in Form grosser, uniform gestalteter Tranchen. Diese Tranchen werden wiederum in einzeln handelbare Wertpapiere wie Aktien oder Obligationen zerstückelt. Je nach Laufzeit eines Finanzinstruments sprechen wir beim öffentlichen Finanzmarkt von Geld- oder Kapitalmarkt.

Auf dem Geldmarkt werden kurzfristige Finanzinstrumente mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr gehandelt. Der Geldmarkt umfasst den Handel mit Zentralbankgeld und kurzfristigen Geldmarktpapieren. Auf diesem «klassischen» Interbankenmarkt gleichen Banken ihre kurzfristigen Spitzen im Zahlungsverkehr aus und beschaffen sich kurzfristige Liquidität. Der Interbankenmarkt spielte bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 eine wichtige Rolle. Inzwischen wurde er jedoch weitgehend durch den Repomarkt abgelöst, auf welchem Geld gegen Sicherheiten gewährt wird. Diese Verschiebung geht einher mit dem Übergang vom ungesicherten Referenzzinssatz Libor zum gesicherten, auf Repogeschäften basierenden Refernzzinssatz Saron.

Zum Geldmarkt im weiteren Sinne zählen neben den Transaktionen von Banken auch die Transaktionen von kommerziellen Unternehmen, Versicherungen, Pensionskassen, öffentlichen Institutionen und Privatanlegern. Üblicherweise handelt es sich dabei um kurzfristige Transaktionen bei Geschäftsbanken, um Geldmarktpapiere sowie Geldmarktbuchforderungen ab einem Mindestbetrag von 100’000 Franken.[1]

Handel mit Wertpapieren


Auf dem Kapitalmarkt wiederum handeln die Marktakteure mittel- und langfristige Finanzinstrumente mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr. Dabei finden insbesondere Transaktionen zwischen Unternehmen und einem breiten Anlegerpublikum statt. Auf dem Kapitalmarkt werden Wertpapiere wie Aktien, Obligationen und Anlagefonds gehandelt, die über einen langfristigen Charakter verfügen. Dabei bestehen ein Markt für Beteiligungsrechte (zum Beispiel Aktien) und ein Markt für Forderungsrechte (beispielsweise Anleihen). Auch wenn ein Investor lediglich kurzfristigen Handel mit Aktien, Obligationen oder Fonds betreibt, ist er trotzdem am Kapitalmarkt und nicht am Geldmarkt tätig.

Ein Kapitalgeber erwartet in der Regel vom Kapitalnehmer für die Überlassung des Kapitals einen gewissen Ertrag in Form von Zins- oder Dividendenzahlungen. Akteure sind private Investoren sowie institutionelle Investoren wie Pensionskassen, Fonds und Versicherungen.

Dem Staat kommt die Aufgabe zu, einerseits mit Gesetzen und Verordnungen die Funktionsfähigkeit des freien Marktes und der Börsen sicherzustellen und andererseits den Anlegerschutz zu gewährleisten.

Primär- oder Sekundärmarkt?


Der Kapitalmarkt kann wiederum in einen Primär- und einen Sekundärmarkt unterteilt werden. Der Primärmarkt dient Unternehmen vor allem zur Kapitalbeschaffung. Er wird auch als Emissionsmarkt bezeichnet, da er die Erstausgabe von Wertpapieren umfasst. Mit der Ausgabe von Wertpapieren kann beispielsweise ein hoher Kapitalbedarf in kleine Betragseinheiten aufgespalten werden.

Wenn ein Unternehmen einen Kapitalbedarf decken will und sich entschliesst, ein Wertpapier auszugeben, tritt es als Emittent auf dem Geld- oder dem Kapitalmarkt auf. Unternehmen können verschiedene Arten von Wertpapieren ausgeben – am häufigsten werden jedoch Aktien und Obligationen emittiert. Die Aktien oder Anleihen werden direkt bei Investoren oder indirekt via Banken am Markt platziert. Im Rahmen der Platzierung werden mit einer eingehenden Prüfung (sogenannte Due Diligence) die Vollständigkeit und die Richtigkeit des Emissionsprospekts sichergestellt.

Im Jahr 2019 wurden auf dem Primärmarkt Anleihen in der Höhe von 62 Milliarden Franken emittiert. Berücksichtigt man die Rückzahlungen von 52 Milliarden Franken, resultiert eine Nettokapitalaufnahme von 10 Milliarden Franken (siehe Abbildung 1). Ein Jahr zuvor war die Nettokapitalaufnahme mit –3 Milliarden Franken noch negativ gewesen. Zwischen 2008 und 2019 sind die netto emittierten Anleihen um insgesamt 31 Milliarden Franken gewachsen.

Abb. 1: Schweizer Sekundärmarkt: Emissionen und Rückzahlungen von Anleihen (2008–2019)




Quelle: SNB / Die Volkswirtschaft

Bei der Eigenkapitalaufnahme schwankt das Volumen stark und ist vor allem durch Kapitalmarkttransaktionen grosskapitalisierter Gesellschaften (Large Caps) determiniert.

In den Jahren 2017 bis 2019 haben Unternehmen auf dem Primärmarkt im Durchschnitt rund 4,5 Milliarden Franken an Eigenkapital beziehungsweise an Aktien aufgenommen.[2] Die Eigenkapitalrückzahlungen an die Investoren übersteigen die Eigenkapitalaufnahme jedes Jahr deutlich. Schweizer Gesellschaften schütten ihren Aktionären rund 50 Milliarden an Dividenden aus, hinzu kommen bei manchen Gesellschaften Aktienrückkäufe.[3] Die ausgeschütteten Mittel stammen aus operativen Unternehmensgewinnen oder aus Desinvestitionserlösen.

Handel an der Börse


Als Sekundärmarkt bezeichnet man den Markt für den Handel mit Wertpapieren an der Börse. Im Unterschied zum Primärmarkt sind nicht mehr die Unternehmen auf der Suche nach Kapital, sondern es finden Transaktionen zwischen Investoren statt. Dieser Markt bildet den eigentlichen Börsenhandel, in dessen Rahmen ausschliesslich Wertpapiere gehandelt werden, die öffentlich zugänglich sind.

Damit Wertpapiere an der Börse gehandelt werden können, müssen Emittenten die Anforderungen des jeweiligen Kotierungsreglements erfüllen. Dazu zählen zum Beispiel die Publikation kursrelevanter Informationen, die Anwendung von vorgegebenen Rechnungslegungsstandards oder die Meldung von Aktientransaktionen von Management und Verwaltungsräten.

Im Jahr 2019 beliefen sich die Transaktionen von Aktien, Obligationen, Anlagefonds sowie strukturierten Produkten und Optionen auf rund 1,5 Billionen Franken (siehe Abbildung 2). Die gesamte Marktkapitalisierung der an der Börse SIX Swiss Exchange kotierten Aktien von schweizerischen und liechtensteinischen Unternehmen belief sich per Ende 2019 auf 1,8 Billionen Franken.

Abb. 2: Sekundärmarkt: Wertschriftenumsätze an der Schweizer Börse (2008–2019)




Quelle: SNB / Die Volkswirtschaft

Für die Aufnahme von Unternehmenskapital spielt der Kapitalmarkt in der Schweiz gegenüber dem Kreditmarkt im internationalen Vergleich nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit einem Emissionsvolumen von weniger als 50 bis 100 Millionen Franken sind am Kapitalmarkt nur sporadisch präsent. Bremsend wirken auch die steuerlichen Rahmenbedingungen wie die Stempelsteuer.

  1. In Anlehnung an Angaben der SIX Group: Geld- und Kapitalmarkt[]
  2. Schätzungen der Autoren basierend auf diversen Quellen (Vontobel, ZKB, FuW). Ohne Secondary Offerings und Wandelanleihen. []
  3. Helvetische Bank, zitiert in NZZ vom 15. Januar 2020: «Von den vielen Vorteilen der Dividendenzahlung». []

Zitiervorschlag: Philipp Lütolf, Thomas K. Birrer, (2020). Wie funktioniert der Finanzmarkt. Die Volkswirtschaft, 21. April.