Suche

Abo

Wettbewerb um die Wettbewerbsfähigkeit: Die Schweiz auf Platz fünf

Bei makroökonomischer Stabilität und den Qualifikationen der Arbeitskräfte belegt die Schweiz international Spitzenplätze, wie der Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums immer wieder zeigt. Doch die Schweizer Unternehmen sind zu wenig dynamisch.

Wettbewerb um die Wettbewerbsfähigkeit: Die Schweiz auf Platz fünf

Gute Fachkräfte: Bei der Qualität der Berufsbildung ist die Schweiz führend. Lernende an der Uhrmacherschule in Le Locle. (Bild: Keystone)

Die Schweiz gehört seit Langem zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften und verzeichnet weltweit einen der höchsten Lebensstandards. Doch was sind die Treiber dieses Erfolgs? Anhaltspunkte dafür gibt der Global Competitiveness Index (GCI) des Weltwirtschaftsforums (WEF), welches auch für das jährliche Treffen von Wirtschaftsführern und Politikern in Davos bekannt ist. Der GCI misst, weshalb gewisse Länder konkurrenzfähiger sind als andere.

Der aktuellste Global Competitiveness Report stammt aus dem Jahr 2019 – und basiert somit auf Daten aus der Zeit vor Covid-19. Aber selbst wenn die Corona-Pandemie in den meisten Ländern das Gesundheitswesen belastet und eine Rezession nach sich zieht, dürften wettbewerbsfähigere Volkswirtschaften die Krise besser überstehen – sei es dank solideren Finanzen oder der für sie typischerweise höheren Widerstandskraft. Die Ergebnisse von 2019 sind deshalb wertvoll. Denn sie zeigen auf, mit welchen strukturellen Voraussetzungen die Volkswirtschaften in die Krise starteten.

Wie misst man Wettbewerbsfähigkeit?


Der Global Competitiveness Index erfasst die Treiber der Totalen Faktorproduktivität (TFP). Diese erklärt die Veränderungen des Einkommens (BIP), welche nicht durch Veränderungen im Einsatz der Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital erklärt werden können. Gemäss bisherigen Erkenntnissen erklärt die Totale Faktorproduktivität die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern besser als die Faktoren Kapital oder Arbeit. Sie begründet somit den Grossteil des langfristigen Wohlstandmotors.

Die Totale Faktorproduktivität (kurz: Produktivität) beschreibt also die Summe aller Aspekte, die für die Unternehmen eines Landes ein wirtschaftliches Umfeld schaffen, in dem sie effizient und innovativ tätig sein können. Dazu zählen beispielsweise ein berechenbares und effizientes Rechtssystem, moderne Technologien sowie gut qualifizierte Arbeitskräfte. Diese sowie viele weitere Faktoren sorgen gemeinsam für ein Umfeld, in dem Unternehmen sich gut entwickeln können.

Weil das Konzept der Produktivität multidimensional ist, lässt es sich nur mit einer Kombination verschiedener Indikatoren messen. So setzt sich auch der GCI aus über 100 Variablen zusammen. Diese stammen einerseits aus quantitativen nationalen Statistiken (z. B. dem Bevölkerungsanteil mit Internetzugang) und andererseits aus qualitativen Umfragen, wie der jährlich vom WEF durchgeführten Befragung von Führungskräften (Executive Opinion Survey). Darin bewerten CEOs und Geschäftsinhaber die Qualität verschiedener Faktoren jenes Landes, in dem sie arbeiten: So geben sie beispielsweise Auskunft darüber, ob sie genügend Fachkräfte finden können. Die Variablen werden normalisiert, mit einem Punktesystem von 0 bis 100 bewertet und in zwölf sogenannten Pfeilern zusammengefasst (siehe Abbildung 1).[1]

Abb. 1: Struktur des Global Competitiveness Index




Quelle: Global Competitiveness Report 2019 / Die Volkswirtschaft

Singapur am wettbewerbsfähigsten


2019 führte Singapur das GCI-Ranking an, gefolgt von den USA, Hongkong, den Niederlanden und der Schweiz (siehe Abbildung 2). Die Rangierung bedeutet allerdings nicht, dass der Erfolg eines Landes auf Kosten eines anderen geht. Im Gegenteil: Mehrere Länder können dieselbe Punktzahl erreichen und so zeigen, dass ihre Wirtschaftssysteme vergleichbar und ähnlich förderlich und effizient sind.

Abb. 2: Die fünf wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften gemäss GCI 2019 und ihre Entwicklung seit 2017




Quelle: WEF / Die Volkswirtschaft

Trotz Unterschieden in den Pfeilern liegen die Gesamtwerte der fünf führenden Volkswirtschaften sehr nahe beieinander: Die Schweiz liegt mit ihren 82,3 von möglichen 100 Punkten nur 2,5 Punkte hinter dem Spitzenreiter Singapur. Die Verteilung der Ergebnisse zeigt, dass die fünf wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften alle über dem 97. Perzentil und mehr als 21 Punkte über dem Medianwert aller Länder liegen.

Die Top Five erreichen bei allen zwölf Pfeilern mindestens überdurchschnittliche Werte und gehören zudem zur Spitzengruppe (über dem 90. Perzentil) in den Pfeilern Institutionen, Infrastruktur, makroökonomische Stabilität, Qualifikationen, Finanzsystem und Innovationskraft. Ein exzellentes Resultat bei diesen sechs Unterkategorien und ein zumindest überdurchschnittlicher Wert bei den restlichen erweist sich als Schlüssel für eine Spitzenposition in der Rangliste.

Allerdings: Auch von diesen Top-Ökonomien erreicht keine die Höchstpunktzahl von 100. Bei allen besteht also noch Verbesserungspotenzial. So auch bei Singapur, das insgesamt auf Platz 1 ist: Bei den beruflichen Qualifikationen erreicht es nur den 19. und bei der Innovationskraft den 13. Rang und bleibt so hinter der Spitzengruppe zurück. Ähnliches gilt für die Vereinigten Staaten: Sie sind zwar das innovativste Land der Welt, weisen aber bei der Gesundheit (55. Rang) einen Rückstand zu den meisten führenden Volkswirtschaften auf.

Gute Position der Schweiz


Die Schweiz belegt insgesamt den 5. Rang. Das hat sie vor allem dem hervorragenden Resultat bei acht von zwölf Pfeilern zu verdanken (siehe Abbildung 3). Bei der makroökonomischen Stabilität erreicht sie sogar die volle Punktzahl. Aber auch bei Infrastruktur (93,2; 4.), Gesundheit (99,9; 5.) und Finanzsystem (89;7; 4.) liegt sie weit vorne. Dieses Ergebnis widerspiegelt ein Geschäftsumfeld mit niedriger Inflation, gut verwalteten öffentlichen Budgets, einem gut funktionierenden Verkehrssystem sowie hoher Lebenserwartung bei guter Gesundheit. Auch der Zugang zu Eigen-, Fremd- und Risikokapital funktioniert relativ effizient.[2]

Abb. 3: Die Schweiz im Vergleich mit den Top Ten des Global Competitiveness Index (2019)




Auf dem ersten Platz liegt die Schweiz ausserdem bei den Qualifikationen (86,7 Punkte). Zu verdanken ist dies vor allem der hervorragenden Berufsbildung (90,8; 1. Platz), den betrieblichen Ausbildungsprogrammen (79,0; 1. Rang) sowie der hohen Arbeitsmarktfähigkeit der Studienabgänger (81,4; 1. Rang) in einem Arbeitsmarkt, der gleichzeitig Flexibilität und Schutz bietet und ausserdem Talent belohnt (79,5; 2. Rang). Knapp hinter Deutschland und den USA gehört die Schweiz zudem zu den drei innovativsten Ländern der Welt (81,2). Grund dafür sind die im weltweiten Vergleich sehr hohen Werte bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben (3,4% des BIP; 3. Rang), bei den Patentanmeldungen (4. Rang) und der Mitwirkung an internationalen Forschungsprojekten.

Abwärtstrend bei Qualifikationen


Diese Ergebnisse dürfen jedoch nicht zu Selbstzufriedenheit verleiten. Denn bei mehreren Indikatoren und selbst bei bisher hohen Werten der Schweiz ist ein Abwärtstrend festzustellen: So ist etwa der Wert bei den Qualifikationen seit zwei Jahren rückläufig. Ein negativer Trend besteht auch in den Bereichen Mitarbeiterschulung, Qualität der Berufsbildung sowie digitale und andere Kompetenzen der aktuellen Hochschulabgänger – auch wenn die Schweiz bisher den Spitzenplatz in diesen Bereichen noch verteidigt.

Auch die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (78,6; 16. Platz) erfolgt aufgrund der zögerlichen Einführung von Breitband- und Glasfasertechnologien langsamer als in anderen führenden Volkswirtschaften. Als Folge davon konnte die Schweiz diese Verbreitung in den letzten drei Jahren lediglich um 2,7 Punkte steigern. Länder wie Singapur (+5,6), USA (+4,03) und Schweden (+4,3) liegen hier vorne.

Die Unternehmensdynamik (71,5; 22. Rang) – die Fähigkeit der Unternehmen, neue Technologien und neue Formen der Arbeitsorganisation zu entwickeln und einzuführen – ist zudem seit 2017 zweimal in Folge zurückgegangen und bleibt einer der schwächsten Aspekte der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit. Eine zunehmende Abneigung der Unternehmen gegenüber disruptiven Ideen (53,8; 26. Rang) und die relativ starke Aversion gegen unternehmerische Risiken (59,1; 25. Rang) erklären, weshalb die Schweiz bei der Geschäftsdynamik nicht mit anderen Volkswirtschaften in den Top Ten mithalten kann.

Eine weitere Schwäche der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit ist die Effizienz der Gütermärkte (63,8; 25. Rang). Sie gibt an, ob ein Land den Wettbewerb fördert, indem es allen Marktteilnehmern gleiche Zugangsbedingungen bietet. Relativ hohe Handelszölle (79,7; 46. Rang), nicht tarifäre Handelshemmnisse (62,2; 40. Rang) und komplexe Zölle (11,3, 141. Rang) zeigen, dass die Schweiz zwar eine offene Volkswirtschaft ist, dass jedoch bei gewissen Aspekten Potenzial besteht, die Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern.

Im aktuell schwierigen rezessiven Umfeld aufgrund der Corona-Pandemie ist es für alle Länder wichtig, ihre Wettbewerbsfähigkeit voll auszuschöpfen. Nur so können sie das Wirtschaftswachstum ankurbeln und die Hilfe für diejenigen Branchen intensivieren, die von der Krise stark betroffen sind. Die nächste Ausgabe des Global Competitiveness Report, der voraussichtlich im Herbst 2020 erscheint, wird genauere Anhaltspunkte darüber geben, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit nach der Pandemie entwickelt hat, und aufzeigen, wie die Länder mit geeigneten Prioritäten dafür sorgen können, dass sich die Wirtschaft nach dem Höhepunkt der Pandemie rasch erholt.

  1. Mehr zur GCI-Methode unter Weforum.org []
  2. Das detaillierte Profil zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz ist verfügbar unter Reports.weforum.org[]

Zitiervorschlag: Roberto Crotti (2020). Wettbewerb um die Wettbewerbsfähigkeit: Die Schweiz auf Platz fünf. Die Volkswirtschaft, 15. Juni.