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Corona-Pandemie: Von einer Angebots- zu einer Nachfragekrise

Eine Umfrage zeigt, wie sich die Probleme von Schweizer Unternehmen im Laufe der Corona-Krise verändert haben. Während sich die Situation für binnenorientierte Branchen inzwischen verbessert hat, bleibt es für die Exportwirtschaft schwer.
In Schweizer Exportbranchen wie der Metallindustrie hat die Nachfrage auch nach den Lockerungen der Corona-Massnahmen nicht wieder angezogen. (Bild: Keystone)

Am Anfang des Jahres 2020 brummte der Schweizer Wirtschaftsmotor: Die Unternehmen waren optimistisch, die Wachstumsprognosen positiv. Aus China war zwar bereits von einer neuen Virusinfektion zu hören, die lokal ausgebrochen war. Doch in der Schweiz staunten viele über die drastischen Massnahmen, die in der chinesischen Stadt Wuhan zur Bekämpfung des Virus ergriffen wurden. Viele dachten wohl, dass die Schweiz glimpflich davonkommen werde, wie bei der Sars-Pandemie in den Jahren 2002 und 2003. Doch es kam anders: Das Coronavirus brach ungebremst über die Welt und die Schweiz herein. Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung des Virus offiziell zur Pandemie, was bedeutet, dass die Krankheit im Gegensatz zu einer Epidemie nicht örtlich beschränkt bleibt. Seither hält die Corona-Krise auch die Schweiz fest im Griff – mit drastischen Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft.

Doch wie schwerwiegend sind die Folgen der Pandemie für die Schweizer Wirtschaft? Um sich einen Überblick zu verschaffen, hat der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) von Ende Februar bis Juni 2020 alle drei bis vier Wochen eine Befragung bei Unternehmen und Branchenverbänden durchgeführt (siehe Kasten). Diese zeigen, wie sich die Probleme und Erwartungen der Unternehmen im Laufe der Corona-Krise veränderten.

Lieferengpässe und Reisebeschränkungen


Im Februar war das Virus definitiv in Italien angekommen, und auch in der Schweiz waren erste Fälle zu verzeichnen. Wie die Umfrage zeigt, nahmen die Schweizer Unternehmen diese Situation ernst, ohne jedoch in Panik zu verfallen. Firmen, die Ableger in China hatten, waren bereits vorgewarnt und bereiteten sich entsprechend vor. Viele andere Firmen zogen bis Ende Februar nach und trafen vorsorgliche Massnahmen, um ihre Mitarbeitenden zu schützen und ihre Produktion aufrechtzuerhalten. So wurden zumeist nur noch unvermeidbare Reisen getätigt. Gleichzeitig wurden auch Mitarbeitende, die aus Risikogebieten zurückkamen, in Quarantäne geschickt, Homeoffice wurde gefördert und die Belegschaft für Hygienemassnahmen sensibilisiert.

In der Anfangsphase fürchteten die Unternehmen vor allem, dass die internationalen Lieferketten unterbrochen werden könnten. Die Mehrheit litt zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht akut unter Lieferengpässen. Werkschliessungen, verminderte Frachtkapazitäten und längere Transportzeiten begannen sich aber langsam auszuwirken. Dies zeigte sich unter anderem in schrumpfenden Lagerbeständen. Gleichzeitig spürten Schweizer Firmen bereits die sinkenden Absätze im chinesischen Geschäft. Denn: Einerseits war der direkte Kundenkontakt wegen der innerchinesischen Reisebeschränkungen wie auch wegen firmeninterner Verbote von Reisen von und nach China erschwert. Andererseits hatte die Luxusgüterindustrie bereits mit einer nachlassenden Nachfrage aus China und von chinesischen Touristen in der Schweiz zu kämpfen. Darunter litten auch der Tourismus und das Messegeschäft.

Lockdown schockt Gesamtwirtschaft


Die Lage spitzte sich weiter zu: Am 16. März verhängte der Bundesrat einen Teil-Lockdown. Zur gleichen Zeit ergriffen ausländische Regierungen ähnliche oder gar noch strengere Massnahmen. Die Unternehmen kämpften nun gemäss ihren Aussagen mit zunehmenden Lieferengpässen. Zulieferer aus immer mehr Ländern konnten die benötigten Vorprodukte nicht oder nur erschwert liefern. Gleichzeitig wurden die Absatzschwierigkeiten im In- und Ausland immer grösser. Ende März war die Lage für die Schweizer Wirtschaft gravierend.

Die teilweise Stilllegung der Schweizer Wirtschaft und der internationale Konjunktureinbruch hinterliessen tiefe Spuren. Im grenzüberschreitenden Geschäft machten sich nun grösstenteils die verhängten Produktionsstopps bei Zulieferern und Abnehmern im Ausland bemerkbar. Besonders betroffen waren Zulieferer in der Autobranche sowie Produzenten von Luxusgütern. Innerhalb der Schweiz waren von den behördlichen Verboten insbesondere der stationäre Non-Food-Detailhandel, Hotels, Restaurants, Eventveranstalter und Unternehmen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen, wie z. B. Coiffeursalons, wie auch deren Zulieferbetriebe tangiert. Die Textilindustrie konnte einen Grossteil der Frühlingskollektion nicht mehr verkaufen. Und dem Automobilhandel setzte der Produktionsstopp in Europa zu.

Die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bewirkten einen enormen wirtschaftlichen Schaden. Die Unternehmen gaben Ende März an, dass ihr Umsatz krisenbedingt im Durchschnitt um ein Fünftel eingebrochen sei. Bei vielen Firmen zeichneten sich insbesondere Liquiditätsengpässe ab. Rund ein Drittel der Unternehmen hatte damals Schwierigkeiten, die Liquidität im Betrieb sicherzustellen, und die Unternehmen erwarteten, dass dieser Anteil weiter zunehmen würde. Das Liquiditätsproblem akzentuierte sich allerdings nicht nur aufgrund sinkender Absatzzahlen. Etliche Firmen berichteten, dass sich die Zahlungsmoral insbesondere im Geschäftsverkehr verschlechtert habe und mit einem deutlichen Anstieg bei den Debitorenverlusten zu rechnen sei.

Massnahmenpaket verschafft Verschnaufpause


Zu diesem Zeitpunkt drohte der Kollaps der Schweizer Wirtschaft. Der Bundesrat beschloss deshalb am 20. März ein umfassendes Massnahmenpaket und stellte Hilfen in der Höhe von über 30 Milliarden bereit. Insbesondere durch die Vergabe von Covid-Krediten konnten negative Kettenreaktionen in der Wirtschaft unterbrochen werden. Sie kamen gerade rechtzeitig und wirkten rasch. Nach ihrer Einführung nahm bei den Unternehmen die Angst vor zukünftigen Liquiditätsproblemen rasch ab. Ebenso entfaltete die Ausweitung der Kurzarbeit ihre Wirkung: Der Anteil der Unternehmen, bei denen Entlassungen erwartet wurden, sank aufgrund des bundesrätlichen Massnahmenpakets von 30 auf 17 Prozent. Die Liquiditätshilfen und die Kurzarbeitsentschädigungen scheinen den Firmen die nötige Luft verschafft zu haben.

Nichtsdestotrotz verschlechterte sich die Lage Mitte April weiter. Sowohl aus der Binnen- als auch aus der Exportwirtschaft wurden erhebliche Umsatzeinbussen gemeldet. Gegenüber Ende März waren diese von durchschnittlich 25 auf 39 Prozent angestiegen. Zudem nahmen Sekundäreffekte in nicht unmittelbar betroffenen Bereichen zu. Denn Sparmassnahmen und der Fokus vieler Unternehmensleitungen auf die Bewältigung der Corona-Krise führten dazu, dass viele Firmen nur noch die absolut notwendigen Ausgaben tätigten. So wurden beispielsweise Marketingaktivitäten und Informatikprojekte vertagt und Beratungsleistungen gestrichen. Ebenso nahmen neue Anlage- und Bauinvestitionen ab – sie wurden entweder auf Eis gelegt oder ganz abgesagt.

Gleichzeitig machte sich nach anfänglicher Zufriedenheit mit dem bundesrätlichen Stützungspaket langsam Unmut breit. Mitte April – vor der Ankündigung erster Lockerungsschritte – war fast die Hälfte der Umfrageteilnehmenden unzufrieden mit den Massnahmen der Landesregierung. Aus Sicht vieler Unternehmen lockerte der Bund die Schutzmassnahmen zu zaghaft und erhielt den Teil-Lockdown zu lange aufrecht.

Absatzprobleme trotz Wiederöffnung


Mit den ab dem 16. April kommunizierten Lockerungsschritten erhielten die meisten binnenorientierten Unternehmen die dringend benötigte Perspektive. Viele Probleme hielten zwar unverändert an, doch dank der Wiederöffnung konnten viele Betriebe wieder mit einer steigenden Nachfrage rechnen.

Gleichzeitig zeigte sich die hohe Anpassungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. In vielen Unternehmen waren die Homeoffice-Prozesse mittlerweile gut eingespielt. Dienstleistungsbetriebe konnten dadurch wieder einer beinahe normalen Geschäftstätigkeit nachgehen, und auch Arbeitsausfälle, die zu Beginn der Pandemie aus unterschiedlichen Gründen zunahmen, wurden wieder seltener. Zudem hatten verarbeitende Firmen mit grossem Aufwand ihre Produktionsprozesse den Schutzvorgaben angepasst und neu ausgerichtet.

Je länger die Krise dauerte, desto deutlicher verschoben sich die Hauptprobleme der Unternehmen. So beeinflusste etwa der Nachfrageeinbruch die wirtschaftliche Entwicklung immer stärker. Ende Mai stellte er für die Unternehmen die grösste Herausforderung dar (siehe Abbildung). Zu jenem Zeitpunkt berichteten 89 Prozent der Branchen von Absatzschwierigkeiten im Inland, und 82 Prozent rechneten auch für die kommenden zwei Monate noch mit einer anhaltend tiefen Nachfrage. Zudem berichteten Ende Mai 72 Prozent der Exportunternehmen von Absatzschwierigkeiten im Ausland.

Tatsächliche und erwartete Probleme von Unternehmen im Laufe der Krise




Anmerkung: Die Frage an die Unternehmen lautete: Welche Probleme haben/erwarten Unternehmen in Ihrer Branche? Stichprobengrösse zwischen 264 und 396, wobei teilweise auch Branchenverbände darunter waren, die sich auf eigene Umfragen bei ihren Unternehmen abstützten.

Quelle: Minsch und Wehrli (2020e) / Die Volkswirtschaft

Umgekehrt gingen die Probleme beim Bezug von Vorprodukten und die Arbeitsausfälle im Laufe der Krise zurück. Und auch die Liquiditätsprobleme nahmen ab. Trotzdem stellten sie die Unternehmen weiterhin vor Herausforderungen. Ende Mai kämpfte immer noch rund ein Drittel der Branchen mit Schwierigkeiten beim Bezug von Vorprodukten. Aufgrund anhaltender Fabrikschliessungen im Ausland und einer komplizierteren Logistik blieb die Situation angespannt und führte zu wesentlich höheren Beschaffungskosten.

Aussenhandel kämpft weiterhin


Für rund die Hälfte der Branchen hatte sich im Mai die wirtschaftliche Situation verbessert. Diese Verbesserungen wurden aber fast ausschliesslich aus binnenorientierten Branchen rapportiert, die von den gelockerten Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie profitierten. Die Exportbranchen berichteten nahezu ohne Ausnahme von Verschlechterungen oder von einer unverändert schwierigen Situation.

Diese Probleme in der Exportwirtschaft dürften noch eine Weile andauern. So rechnen die befragten Exportunternehmen für dieses Jahr nicht mehr mit einer Normalisierung. Denn einerseits sind im Geschäftskundenmarkt international weitflächige Investitionsstopps zu beobachten, wovon hauptsächlich die Maschinen-, die Textil- sowie die Elektro- und Metallindustrie betroffen sind. Andererseits erleidet aber auch das Endkonsumentengeschäft im Ausland hohe Umsatzeinbussen. Diese nachlassende Konsumnachfrage trifft neben der Luxusgüter- und der Uhrenindustrie vor allem auch die Tourismusbranche.

Die wirtschaftliche Lage bleibt damit also noch für längere Zeit angespannt. Im internationalen Vergleich stehen die Schweizer Unternehmen aber relativ gut da – auch dank ihrer Flexibilität und weil sie auf Krisen gut vorbereitet sind.


Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Rudolf Minsch, Roger Wehrli, Michele Salvi, (2020). Corona-Pandemie: Von einer Angebots- zu einer Nachfragekrise. Die Volkswirtschaft, 21. Oktober.

Die Umfrage im Detail

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat von Ende Februar bis Ende Mai 2020 fünf Umfragen zur wirtschaftlichen Situation in den Branchen und Unternehmen durchgeführt. Die letzten drei Umfragen wurden in Zusammenarbeit mit den Konjunkturforschern des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) organisiert. Die Umfrage vom 6. Mai hatte mit 396 Teilnehmenden die höchste Beteiligung. Die Erhebung deckt alle Landesteile der Schweiz ab, und rund 40 Branchenverbände haben die Fragebögen jeweils konsolidiert für ihre Branche ausgefüllt. Dank der kurzen Erhebungsperiode und der raschen Auswertung zeigten die Resultate ein aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Wirtschaft. Berechnete Anteile sind jedoch lediglich als grobe Richtschnur zu verstehen, da die Antworten nicht nach Branchen gewichtet wurden.