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Innovationsausgaben trotzen der Krise

Viele innovative Unternehmen in der Schweiz werden ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung trotz der Covid-Krise beibehalten, wie der diesjährige Global Innovation Index zeigt. Allerdings fehlt vielen Start-ups der Zugang zu Risikokapital.
Givaudan forscht weiter: Der Schweizer Hersteller von Aromen und Duftstoffen hat im 1. Halbjahr 2020 seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben erhöht. (Bild: Keystone)

Bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Covid-19-Krise befand sich die weltweite Innovation im Höhenflug. Das zeigt der diesjährige Global Innovation Index (GII) der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo). Gemäss dem Bericht sind die durchschnittlichen Innovationsausgaben weltweit in den letzten zehn Jahren schneller gestiegen als das Bruttoinlandprodukt (BIP). Ein Beispiel sind die globalen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E-Ausgaben): 2018 nahmen sie in nur einem Jahr um 5,2 Prozent zu.

Auch die weltweiten Anmeldeaktivitäten im Zusammenhang mit geistigem Eigentum sind in die Höhe geschossen und erreichten 2018 und 2019 gar neue Rekordwerte.[1] 2018 etwa stiegen die Patentanmeldungen weltweit um 5,2 Prozent. Patente mit Schweizer Ursprung legten um 4,7 Prozent zu. Das gilt auch für die internationalen Patentanmeldungen, die im Rahmen des Wipo-Vertrags über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (Patent Cooperation Treaty, PCT) eingereicht wurden. Sie nahmen 2019 im zehnten Jahr in Folge stark zu.[2]

In der Schweiz bewegte sich die Innovationsleistung weiterhin auf einem hohen Niveau. So belegte die Schweiz 2019 wie schon die letzten neun Jahre wieder den Spitzenplatz im Ranking des Global Innovation Index. Doch dann kam die Covid-Krise.

Sinkende Innovationsausgaben?


Wie ein Blick auf vergangene Wirtschaftskrisen zeigt, haben sich die F&E-Ausgaben der Unternehmen, die Patentanmeldungen und die Risikokapitalinvestitionen stets parallel zum BIP entwickelt. Mit anderen Worten: Sie sind eingebrochen. So beispielsweise während des Wirtschaftsabschwungs der Dotcom-Krise Anfang der Nullerjahre oder während der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 (siehe Abbildung 1). Da der Internationale Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2020 eine Abnahme des weltweiten BIP um 4,9 Prozent und für die Schweiz um 4,7 Prozent[3] prognostiziert, wird befürchtet, dass für die Innovation nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen werden.

Abb. 1: Weltweite Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E) im Vergleich zum BIP (2000-2020)




Quelle: Global Innovation Index 2020, Kapitel 1 / Die Volkswirtschaft

Glücklicherweise haben sich die F&E-Ausgaben und die Patentanmeldungen in der gegenwärtigen Krise bisher als robuster erwiesen, als die historische Erfahrung befürchten liess. Das zeigt, wie bedeutend Innovation und geistiges Eigentum in modernen Volkswirtschaften und für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind.

Selbst in der letzten Wirtschaftskrise von 2008/2009 verzeichneten verschiedene Volkswirtschaften zu keinem Zeitpunkt einen gesamthaften Rückgang der F&E-Ausgaben – darunter Ägypten, China, Frankreich, Indien, Südkorea und auch die Schweiz.[4] Zudem waren die Auswirkungen des Wirtschaftsabschwungs auf die Patentanmeldungen in den jüngsten Krisen eher von kurzer Dauer. Und es gibt erste Anzeichen dafür, dass sie sich auch jetzt behaupten. Denn die absolute Zahl der international angemeldeten PCT-Patente lag im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr sogar um 6,7 Prozent höher. Somit besteht auch weiterhin grosses Potenzial für bahnbrechende Technologien und Innovationen.

Gemäss neuerer, anekdotischer Evidenz sind die Behörden und Unternehmen von Industrieländern auch künftig nicht bereit, die Innovationsausgaben aufgrund der gegenwärtigen Krise signifikant zu kürzen. Wie der aktuelle Global Innovation Index zeigt, werden die meisten Unternehmen, die hohe F&E-Ausgaben tätigen, ihre Innovationsausgaben aufrechterhalten. Auch verschiedene staatliche Stellen haben bereits damit begonnen, Innovationsanreizen Priorität einzuräumen.

Kein Rückgang bei F&E-Intensität


Ob die Innovationsausgaben tatsächlich weiter zunehmen werden, hängt bis zu einem gewissen Grad auch von der Branchenstruktur einer Volkswirtschaft ab. Denn einige Branchen realisieren mehr Innovationen als andere.

F&E-Ausgaben sind stark auf verhältnismässig wenige Unternehmen konzentriert: So werden 90 Prozent der weltweiten F&E-Investitionen von nur gerade 2500 Firmen getätigt.[5] Die Branchen mit dem grössten Anteil an F&E-Ausgaben werden ihre Investitionen wahrscheinlich nicht reduzieren – trotz der Pandemie. Ein gutes Beispiel dafür sind Softwareproduzenten und Unternehmen, die Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) anbieten. Diese Branche, zu der auch der Schweizer Bankensoftwarehersteller Temenos zählt, ist für die vierthöchsten F&E-Ausgaben weltweit verantwortlich. Angesichts der forcierten Digitalisierung während der Covid-Pandemie könnte sich die Krise sogar positiv auf die Innovation von IKT-Dienstleistern auswirken – vor allem wegen der Zunahme von Internetaktivitäten, Clouddiensten, Onlinespielen und Telearbeit.

Ein weiteres Beispiel für eine F&E-starke Branche ist die Pharmaindustrie. Die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Covid-19 ist eine zentrale Herausforderung für diese Branche und darüber hinaus. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die F&E-Investitionen im Gesundheitsbereich in naher Zukunft abnehmen werden.

Auch die F&E-Ausgaben in der Schweiz könnten sich als robust erweisen. Die Wirtschaftszweige, auf die sich die Schweizer F&E-Investitionen konzentrieren – dazu gehören Pharma und Biotechnologie, Industrietechnik und Chemie –, sind weniger von der Pandemie betroffen als andere Branchen. Die schweizweit höchsten F&E-Investitionen tätigen Roche und Novartis (siehe Abbildung 2). Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Unternehmen ihre F&E-Ausgaben in der ersten Hälfte von 2020 erhöht haben. Die Situation ist eher uneinheitlich: Ihre F&E-Ausgaben erhöht haben die Chemie- und Pharmaunternehmen Roche, Novartis, Givaudan, Clariant und Vifor Pharma sowie der Navigationssystemehersteller Garmin. Weniger investiert haben hingegen Nestlé, ABB, der Elektronikkonzern TE Connectivity und das Pharmaunternehmen Idorsia.

Doch die F&E-Intensität, welche die F&E-Ausgaben dem Unternehmensumsatz gegenüberstellt, hat bei den meisten dieser Unternehmen trotz sinkender Umsätze zugenommen, beispielsweise bei Roche, ABB, TE Connectivity und Clariant. Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine umfassende empirische Analyse, doch diese Unternehmen haben grosses Gewicht, da sie in Bezug auf das absolute Volumen zu den Schweizer Firmen mit den höchsten F&E-Ausgaben gehören.

Abb. 2: Top 58 Schweizer Firmen mit den höchsten F&E-Investitionen, nach Branche (2018)




Anmerkung: Die 58 Unternehmen gehören zu den 2500 Unternehmen, die weltweit am meisten in F&E investieren. Die Grösse der Felder zeigt, welchen Anteil die F&E-Ausgaben jedes der 58 Schweizer Unternehmen an den gesamten F&E-Investitionen dieser 58 Schweizer Firmen haben. 2018 betrugen die F&E-Ausgaben dieser 58 Unternehmen 33,1 Milliarden Franken, die teilweise auch im Ausland investiert werden. Zum Vergleich: Gemäss Bundesrat belaufen sich die gesamtschweizerischen unternehmensinternen F&E-Ausgaben im Jahr 2017 auf 15,6 Milliarden, wobei die Zahlen aufgrund unterschiedlicher Definitionen nicht direkt vergleichbar sind.

Quelle: Eigene Darstellung der Autoren anhand der Daten des interaktiven R&D Scoreboard 2019 / Die Volkswirtschaft

Die Unternehmen, die am stärksten vom Lockdown des vergangenen Frühlings getroffen wurden, insbesondere Firmen in den Bereichen Haushaltsartikel (Detail- und Grosshandel), Freizeit (einschliesslich Restaurants) und Immobilien, werden starke Umsatzverluste verzeichnen und sich daher wahrscheinlich veranlasst sehen, ihre Innovationsausgaben zu kürzen. In der Schweiz sind diese Branchen, insbesondere der Tourismus, von grosser Bedeutung. Doch was die formellen Innovationsausgaben betrifft, gehören diese Branchen sowohl in der Schweiz als auch in den meisten anderen Ländern nicht zu den wichtigsten Akteuren. Trotzdem gilt auch für diese Unternehmen: Wollen sie die Krise überstehen, müssen sie in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Innovationen realisieren.

Start-ups in der Krise


Erste Daten deuten darauf hin, dass der Zugang zu Kapital für junge Unternehmen derzeit sehr schwierig ist. Privates Risikokapital war im ersten Quartal 2020 sowohl in Bezug auf das Transaktionsvolumen als auch hinsichtlich des Werts stark rückläufig.[6] Für die Schweiz sind keine Daten zu Risikokapital verfügbar, doch unvollständige und unternehmensspezifische Informationen aus den Medien bestätigen den Trend, dass sich auch Schweizer Start-ups in Schwierigkeiten befinden. So beantragte mehr als ein Viertel der 208 Unternehmen im Innovationspark der ETH Lausanne einen Covid-19-Überbrückungskredit des Bundes, um sich während der Pandemie über Wasser zu halten.[7]

Doch die Aussichten sind möglicherweise positiver als erwartet, zumindest für leistungsfähige Innovationszentren. Denn die bedeutendsten Risikokapitalzentren wie Singapur, Israel, China, Hongkong (China), Luxemburg, USA, Indien und Grossbritannien werden sich voraussichtlich rasch wieder erholen. Wie aus den verfügbaren Daten hervorgeht, haben die Risikokapitalinvestitionen im zweiten und dritten Quartal 2020 wieder zugenommen. Dabei wurden bereits weltweit wieder annähernd ähnliche Zahlen wie im Quartal vor der Pandemie verzeichnet.[8] Interessanterweise deuten die neuesten Daten darauf hin, dass im Risikokapitalbereich nun stärker auf Digitalisierung im Gesundheitswesen, Onlinebildung, Big Data, E-Commerce und Robotik gesetzt wird.

Konjunkturerholung durch Innovation


Die meisten Behörden in Volkswirtschaften mit hohem und mittlerem Einkommen haben Nothilfepakete geschnürt, um die Auswirkungen des Lockdowns im Frühling abzufedern und der drohenden Rezession zu begegnen.

Doch abgesehen vom Gesundheitssektor haben viele Regierungen bislang Innovation und F&E nicht zu einer Priorität der gegenwärtigen Konjunkturprogramme erklärt. Wenn die Staaten von der Viruseindämmung zur Förderung der Konjunkturerholung übergehen, wäre es jedoch von entscheidender Bedeutung, der Innovation wieder Vorrang einzuräumen.

Diesbezüglich steht die Schweiz besonders gut da. Denn sie hat die Innovationsförderung und die Innovationsfinanzierung bereits in ihre kurzfristigen Massnahmen integriert. So wurden beispielsweise Innovationsfinanzierungen für Schweizer Start-ups bereitgestellt, die bis zu 1 Million Schweizer Franken in Anspruch nehmen können.[9] Insgesamt stehen 154 Millionen Franken als Darlehen für Start-ups zur Verfügung.

Wie wir im diesjährigen Bericht des Global Innovation Index festgehalten haben, sind die Staaten gut beraten, sich mit diesen Massnahmen der Schweiz zu befassen und gegebenenfalls ähnliche Massnahmen umzusetzen.

Denn mehr denn je sind Innovation und eine antizyklische Innovationspolitik die beste Möglichkeit, die Auswirkungen des Lockdowns zu überwinden – selbst angesichts einer höheren Staatsverschuldung.

  1. Siehe Wipo (2019). []
  2. Siehe Wipo (2020). []
  3. Prognose der ETH Zürich. Siehe KOF (2020). []
  4. Während der letzten zwei Jahrzehnte verzeichnete die Schweiz keinen Rückgang der F&E-Ausgaben. Es wurden vielmehr antizyklische F&E-Ausgaben getätigt, wie es ein Innovationsökonom empfehlen würde. []
  5. Datenextraktion der Autoren auf dem interaktiven R&D Scoreboard 2019[]
  6. Siehe Pricewaterhouse Coopers (2020). []
  7. Siehe EPFL (2020). []
  8. Siehe Pricewaterhouse Coopers (2020). []
  9. «COVID19: Liquiditätshilfen für Startups sind operativ». Medienmitteilung auf Seco.admin.ch vom 4.05.2020. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Vanessa Behrens, Antanina Garanasvili, Pamela Gaduyon Bayona, Sacha Wunsch-Vincent, (2020). Innovationsausgaben trotzen der Krise. Die Volkswirtschaft, 13. November.