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Internationale Zusammenarbeit: Neue Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt

Die Nachfrage nach Arbeitskräften, die in der internationalen Zusammenarbeit (IZA) tätig sind, hat sich in den letzten zehn Jahren stark ausgeweitet. Wie reagieren Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen auf den sich wandelnden Arbeitsmarkt?
Wo bleiben die Frauen in der humanitären Hilfe? Tag der offenen Tür beim IKRK in Genf. (Bild: Keystone)

Besteht auf dem Arbeitsmarkt der internationalen Zusammenarbeit (IZA) ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage? Wie finden die IZA-Organisationen die Fachkräfte von morgen? Und welche Qualifikationen sind gefragt? In einer jüngst publizierten Studie[1] sind das Zentrum für Information, Beratung und Bildung für Berufe in der internationalen Zusammenarbeit (Cinfo) und das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) diesen Fragen nachgegangen. Dazu wurden 77 Arbeitgebende des IZA-Bereichs, Bildungseinrichtungen (54 Studiengänge auf der Tertiär- und der Nachdiplomstufe an Schweizer Universitäten und Hochschulen) und 1199 Stellensuchende über mehrere Jahre befragt. Die Studie liefert eine Fülle von Informationen über den Arbeitsmarkt im IZA-Bereich und soll dessen Akteuren eine bessere Orientierung ermöglichen.

Die internationale Zusammenarbeit besteht aus den Segmenten humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Aufgrund der engen Verbindungen lassen sich die zwei Kategorien allerdings nicht immer scharf trennen (siehe Kasten). Die Schweiz engagiert sich stark in der IZA – wobei sie sich auf die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO ausrichtet.

Aus der Studie geht hervor, dass der IZA-Arbeitsmarkt in der Schweiz ein starkes Wachstum aufweist: Derzeit umfasst er über 5000 Vollzeitstellen, was gegenüber 2010 einer Zunahme um 40 Prozent entspricht. Doch waren die Schweizer Arbeitgebenden (Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Bund, internationale Organisationen) in den letzten Jahren in der Lage, auf die sich verändernden Bedingungen des Arbeitsmarktes zu reagieren?

Gemäss den Daten des Stellenportals Cinfoposte.ch wurden in den Jahren 2010 bis 2018 jährlich durchschnittlich rund 800 Stellen[2] ausgeschrieben, die einen Schwerpunkt in der internationalen Zusammenarbeit aufwiesen. Drei Viertel davon entfallen auf die Entwicklungszusammenarbeit und ein Viertel auf die humanitäre Hilfe. Bei knapp zwei Dritteln der Stellen liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit im Einsatzland. Die restlichen Stellenangebote betreffen Aufgaben mit einer Tätigkeit am Sitz der jeweiligen Organisation. Bei rund 10 Prozent der Stellen handelt es sich um Praktikums- oder Juniorplätze.

Spezialisten gesucht


Der Wunsch, sich für eine bessere Welt zu engagieren, reicht nicht aus, um eine Stelle in der internationalen Zusammenarbeit zu erhalten. Die Analyse der Stellenprofile zeigt: Mehr als 90 Prozent der angebotenen Stellen erfordern einen Universitäts- oder Hochschulabschluss. Am häufigsten nachgefragt werden Abschlüsse in Wirtschaft und Recht, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie Internationalen Beziehungen. Während der Anteil an Stellensuchenden mit einem Abschluss in Internationalen Beziehungen denjenigen auf Nachfrageseite übersteigt, ist die Situation bei Ökonominnen und Ökonomen (im Finanzwesen) und Juristinnen und Juristen entgegengesetzt (siehe Abbildung). Ein Mangel an Fachpersonal herrscht tendenziell auch in den Bereichen Gesundheit und Agrarwirtschaft – sowie etwas weniger ausgeprägt in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Äusserst beliebt sind spezifische Weiterbildungen in der internationalen Zusammenarbeit: Das Kursangebot hat sich seit 2005 verdreifacht und entspricht der zunehmenden Nachfrage.[3] Viele Studierende haben einen ausländischen Pass. Der grösste Ausländeranteil findet sich mit 80 Prozent in den nachuniversitären Studiengängen – wobei die meisten Studierenden von ausserhalb Europas stammen.

Ausbildungsprofile auf dem IZA-Arbeitsmarkt (2018)




Anmerkung: Die Grafik zeigt die Übereinstimmung zwischen den für die ausgeschriebenen Stellen gesuchten Fachbereichen (n = 621) und der Qualifikation der Stellensuchenden (n = 1149). Einige Stellenangebote entsprachen zwei Fachbereichen – beispielsweise, wenn es in der Ausschreibung hiess «Wir suchen einen Ökonomen oder Sozialarbeiter». Hingegen wurde aufseiten der Stellensuchenden die Kategorie «Kunst/Gestaltung/Medien» nicht erfasst, da für diese bei den Stellenangeboten keine Entsprechung besteht.

Quelle: Cinfoposte 3.0 / Die Volkswirtschaft

Wo bleiben die Frauen?


Frauen stellen einen grossen Teil des Arbeitskräfteangebots in der internationalen Zusammenarbeit dar. Hoch qualifiziert und in diesen Studiengängen zahlreicher als die Männer, entsprechen sie 60 Prozent der Stellensuchenden. Trotzdem beläuft sich der Frauenanteil bei den Mitarbeitenden in der internationalen Zusammenarbeit auf lediglich 44 Prozent. Dieser Wert hat sich seit 2010 nur geringfügig verändert.

Dieses Missverhältnis hat vor allem mit einem verhältnismässig geringen Frauenanteil in der humanitären Hilfe zu tun: In diesem Teilbereich sind lediglich 40 Prozent der Beschäftigten weiblich. Demgegenüber beträgt der Frauenanteil in der Entwicklungszusammenarbeit 53 Prozent. Grösstenteils lässt sich der geringere Frauenanteil in der humanitären Hilfe mit Arbeitsbedingungen erklären, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren. So war Teilzeitarbeit in der humanitären Hilfe nur bei 14 Prozent der ausgeschriebenen Stellen möglich. Gerade für Frauen ist Teilzeitarbeit jedoch ein wichtiger Faktor bei der Jobsuche: Nach Angaben des Bundesamts für Statistik waren 2019 sechs von zehn Frauen in der Schweiz teilzeitbeschäftigt. Bei der humanitären Hilfe kommt erschwerend hinzu: Einige Einsätze finden in fragilen Kontexten statt, sodass die Mitarbeitenden ihre Familienangehörigen nicht mitnehmen können.

Rekrutierung im Ausland


Um den Facharbeitskräftemangel auszugleichen, rekrutieren die Schweizer IZA-Organisationen ihr Personal zunehmend ausserhalb Europas. Von 2014 bis 2018 sank der Anteil der Schweizer Mitarbeitenden von IZA-Organisationen mit Sitz in der Schweiz von 42 auf 34 Prozent, während der Anteil der Beschäftigten von ausserhalb der EU im Jahr 2018 knapp einem Drittel des Personals entsprach – gegenüber einem Viertel im Jahr 2014.

Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auf die Rekrutierungspraxis des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zurückzuführen – eines Schwergewichts unter den Schweizer IZA-Arbeitgebenden: Im Jahr 2018 betrug der Anteil der Personen mit einem Schweizer Pass beim IKRK 21 Prozent – vier Jahre später waren es noch 16 Prozent. Auch hier zeigt sich ein Unterschied zwischen den zwei IZA-Hauptbereichen: Generell sind in der humanitären Hilfe immer weniger Schweizer Staatsangehörige tätig, während sie in der Entwicklungszusammenarbeit weiterhin gut vertreten sind. So sind die Stellen im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und im Staatssekretariat für Wirtschaft fast ausschliesslich mit Schweizerinnen und Schweizern besetzt. Bei den Nichtregierungsorganisationen liegt der Anteil bei 51 Prozent.

Erwartungen der Jungen


In Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL), die sich nicht zuletzt auch mit Entwicklungsfragen befasst, führte Cinfo eine Umfrage zum Interesse junger Fachpersonen an der internationalen Zusammenarbeit durch. Über 500 Studierende von verschiedenen Schweizer Universitäten und Hochschulen haben an dieser Umfrage teilgenommen. Die Umfrageergebnisse zeigen: Die Studierenden suchen in erster Linie eine Beschäftigung, die «Sinn macht». Zudem möchten sie die Möglichkeit haben, globale Herausforderungen anzugehen.

Als wichtiges Kriterium für die Attraktivität einer Stelle erachten sie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Genau dieser Aspekt hält sie am ehesten davon ab, eine Berufslaufbahn in der internationalen Zusammenarbeit einzuschlagen. Ein weiterer Grund, keine Stelle im Ausland anzutreten, ist die Tatsache, dass es für Paare schwierig ist, ihre beruflichen Tätigkeiten aufeinander abzustimmen. Was die Beurteilung der internationalen Zusammenarbeit betrifft, so bezweifelt ein beträchtlicher Teil der Befragten die tatsächliche Wirkung von IZA-Projekten.

Nach Angaben der 16 IZA-Organisationen, die von Cinfo im Rahmen einer parallelen Umfrage befragt wurden, scheint jedoch durchaus ein Interesse an der internationalen Zusammenarbeit zu bestehen. Dies zeigt insbesondere die grosse Zahl an Bewerbungen, die diese Organisationen erhalten.

Image modernisieren


Für die Zukunft scheint es von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, dass die IZA-Organisationen die Prioritäten der jungen Generationen berücksichtigen. Die Arbeitgebenden sollten sich stärker auf diese Anforderungen ausrichten und sich bemühen, diesen besser zu entsprechen. Beispielsweise durch neue, flexiblere Beschäftigungsformen. Gleichzeitig müssen sie die Arbeitsweise in den Empfängerländern und der Mitarbeitenden vor Ort berücksichtigen.

Da die jungen Fachpersonen die Unterschiede zwischen den in der internationalen Zusammenarbeit tätigen Arbeitgebenden kaum zu kennen scheinen, sollten die IZA-Organisationen genauer über die Organisationsstrukturen, den Führungsstil und die verschiedenen Arbeitsbedingungen der einzelnen Organisationen informieren. Ausserdem scheint die Kommunikation der IZA-Organisationen zu wenig auf die jungen Fachpersonen ausgerichtet zu sein. Die Arbeitgebenden kommunizieren zwar ausgiebig, aber nicht immer über die richtigen Kanäle und in einer angemessenen Form. Für junge Stellensuchende ist es so nicht einfach, sich die massgebenden Informationen zu beschaffen.

Zudem gelingt es den IZA-Akteuren offenbar nicht, die langfristige Wirkung ihrer Projekte ausreichend aufzuzeigen. Sie müssen daher versuchen, die Wirkung langfristiger Projekte besser zu vermitteln, und sich vom Image einer einseitigen und europazentrierten Entwicklungshilfe befreien.

Schliesslich stehen den IZA-Organisationen oftmals zu wenig finanzielle Mittel für die Nachwuchsförderung zur Verfügung. Diesbezüglich sollten die Bundesbehörden gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen einen langfristigen Ansatz entwickeln.

Wenn diese Empfehlungen umgesetzt werden, können das Angebot und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt der internationalen Zusammenarbeit besser ins Gleichgewicht gebracht werden. Ausserdem helfen sie, die Anforderungen des IZA-Bereichs genauer zu verstehen. Davon profitieren letztlich die Empfängerländer.

  1. Cinfo (2020): Internationale Zusammenarbeit: Kernaussagen zum Schweizer Arbeitsmarkt 2010–2018[]
  2. Fachfunktionen, deren Aufgaben zum IZA-Bereich gehören und die eine spezifische Ausbildung und Erfahrung in diesem Bereich erfordern. Für Supportfunktionen (Fundraising, HR, Finanzen) wurden nur Daten über die Anzahl der Stellen erhoben. []
  3. In der Schweiz werden über 200 Aus- und Weiterbildungen angeboten. []

Zitiervorschlag: Irenka Krone-Germann, Loraine Ding, Peter Stettler, (2020). Internationale Zusammenarbeit: Neue Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Volkswirtschaft, 12. November.

Die Bereiche der internationalen Zusammenarbeit

Die internationale Zusammenarbeit (IZA) lässt sich in zwei Hauptbereiche unterteilen: Während die humanitäre Hilfe darauf abzielt, Menschen in Notlagen zu unterstützen, will die Entwicklungszusammenarbeit langfristig sozioökonomische Unterschiede verringern und die Lebensbedingungen benachteiligter Bevölkerungsgruppen verbessern. Zur Entwicklungszusammenarbeit zählen auch die Friedensförderung und die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Weil die Massnahmen der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit eng verknüpft sind, spricht man oft von einem «Nexus» zwischen den beiden IZA-Bereichen.