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Mode und Gastronomie: Opfer der Corona-Krise

Die Corona-Krise hat den sich abzeichnenden Aufschwung im Verkaufsflächenmarkt jäh erstickt. Besonders hart betroffen sind Modeläden und Restaurants.
Die Modebranche kämpfte schon vor der Corona-Krise mit Umsatzrückgängen. (Bild: Keystone)

Seit drei Jahren finden sich im «Retail Atlas Schweiz» Daten zu Tausenden von Detailhändlern, Gastronomen und Dienstleistungsunternehmen. In diesem Analysetool für den Schweizer Immobilienmarkt erfassen wir beispielsweise die genauen Firmenstandorte und schätzen die Grösse der beanspruchten Laden- und Büroflächen. Zusammen mit einer Berechnung der Umsätze pro Branche ermöglichen diese Daten detaillierte Analysen zu Entwicklungen des Verkaufsflächenmarktes. Grundsätzlich gilt: Die Entwicklung der Anzahl Filialen folgt der Umsatzentwicklung mit einer Verzögerung von rund zwei Jahren.

Gut sichtbar wird diese Dynamik, wenn man die Entwicklung der Branchen des periodischen und des aperiodischen Bedarfs vergleicht. Mit periodischem Bedarf sind die Güter des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel oder Haushaltsartikel gemeint. Unter aperiodischem Bedarf versteht man Güter wie Kleider, Schuhe und Bücher, die unregelmässig gekauft werden. Als Folge des Onlineshoppings und des Einkaufstourismus im Ausland gingen die Umsätze in den aperiodischen Branchen in den Jahren 2016 und 2017 stark zurück – zwei Jahre später folgte die Schliessungswelle (siehe Abbildung). Am härtesten traf es die Bekleidungsbranche, gefolgt von der Schuh- und der Elektronikbranche. Demgegenüber war der Umsatzrückgang beim periodischen Bedarf in den Jahren 2016 und 2017 viel geringer, und 2019 stieg er gar wieder ins Positive. Entsprechend zeigte sich dort auch kaum ein Rückgang bei der Anzahl der Filialen.

Detailhandel: Umsatz und Anzahl nach Branchentyp




Quelle: Anzahl Filialen: Retail Atlas Schweiz; Umsatz: Haushaltsbudgeterhebung BFS, Umsatzzahlen von Detailhändlern und Branchenverbänden / Die Volkswirtschaft


Je nach Gemeindegrösse verläuft diese Entwicklung unterschiedlich: In mittelgrossen Gemeinden mit 5000 bis 15’000 Einwohnern haben in den letzten Jahren prozentual am meisten Filialen geschlossen. Diese Gemeinden weisen einen relativ hohen Anteil an Modegeschäften auf – gleichzeitig gehören sie nicht zu den Zieldestinationen von expandierenden Ketten oder neu gegründeten Geschäften. Viele mittelgrosse Gemeinden geraten so in eine Abwärtsspirale: Mit weniger Geschäften sinkt auch die Kundenfrequenz für die verbleibenden Geschäfte. In den kleinen Gemeinden hingegen finden sich fast nur Läden mit periodischen Gütern, sie sind deshalb vom strukturellen Wandel kaum betroffen.

Das gleiche Muster lässt sich bei den Einkaufszentren beobachten: Kleine Einkaufszentren haben einen hohen Anteil an Läden mit periodischen Gütern und somit weniger geschlossene Läden. Mittelgrosse Einkaufszentren wiederum weisen viele Anbieter von aperiodischen Gütern auf und müssen entsprechend viele Filialschliessungen in Kauf nehmen. In Shoppingmalls und grossen Einkaufszentren tritt dieser Trend zwar auch auf, sie können aber besser mit dem Wandel umgehen, indem sie frei gewordene Ladenflächen rasch mit neuen Trendformaten füllen.

Vom Aufschwung in die Krise


Während die periodischen Branchen schon seit Längerem ihre Umsätze steigern konnten, schien es Anfang 2020 so, als würden sich auch die Filialschliessungen der aperiodischen Branchen stabilisieren. Damit schien sich im Verkaufsflächenmarkt ein neues Gleichgewicht eingestellt zu haben. Die Covid-19-Krise könnte dieses Gleichgewicht jedoch gleich wieder aus den Angeln heben. Um einzuschätzen, ob die Pandemie wirklich zu einer Schliessungswelle führen wird, muss die Umsatzentwicklung sowohl während als auch nach dem Lockdown im Frühling 2020 einbezogen werden.

Laut unseren Schätzungen resultierte während des Lockdowns der ersten Pandemiewelle im Verkaufsflächenmarkt ein Umsatzverlust von insgesamt 8,5 Milliarden Franken. Dies entspricht 8,1 Prozent des gesamten Jahresumsatzes. Allerdings finden sich je nach Branche klare Gewinner und Verlierer. Zum einen war der Umsatz davon abhängig, ob und allenfalls für wie lange die Filialen schliessen mussten. Einen weiteren Einfluss hatte, ob die Filialen die stationären Verkäufe durch Onlineverkäufe ersetzen konnten. Schliesslich spielt es eine Rolle, wie wichtig die Frühlingsperiode für den gesamten Jahresverkauf ist.

Nach dem Ende des Lockdowns erholte sich der Verkaufsflächenmarkt rasch – je nach Branche kam es zudem zu Nachholeffekten. Damit sind Käufe gemeint, die die Konsumenten aufgeschoben hatten und nun nachholten. Prominente Beispiele sind der Gartenbedarf oder Elektrogeräte. Nicht profitieren von Nachholeffekten konnten hingegen Restaurants und Dienstleister im Bereich Körperpflege, Fitness und Kultur.

Schweizer Konsumenten haben dieses Jahr zudem deutlich mehr Geld im Inland ausgegeben – einerseits, weil sie seltener für Einkäufe ins grenznahe Ausland fuhren, und andererseits, weil sie die Ferien häufiger in der Schweiz verbrachten. Davon profitieren vor allem Tourismusdestinationen, die auf Schweizer Gäste spezialisiert sind.

Einen negativen Effekt auf die Umsatzzahlen haben hingegen die Corona-Regeln des Bundesrates: Beispielsweise können manche Restaurants und Bars heute aufgrund der Abstandsregeln weniger Gäste bedienen als vor Corona. Andere erleiden Umsatzeinbussen, da dieses Jahr viele Grossanlässe und Veranstaltungen ausfallen.

Noch kein Ladensterben


Gemessen am gesamten Flächenangebot rechnen wir bei rund einem Fünftel der Schweizer Verkaufsflächen für das Gesamtjahr 2020 mit einer Umsatzsteige­rung. Zu dieser Gewinnergruppe zählen hauptsächlich die Supermärkte. Bei weiteren 15 Prozent der Flächen beträgt der Umsatzverlust weniger als 10 Prozent des Jahresumsatzes. Hier finden sich Gastro­nomen und Detailhändler, die zwar während des Lockdowns offen bleiben konnten, aber weniger Umsatz machten. Aber auch Restaurants und Detailhändler, die während des Lockdowns durch kreative Konzepte wie Onlineverkäufe, Take-away oder Gutscheinkampagnen dennoch etwas Umsatz generieren konnten, zählen zu dieser Gruppe.

Bei beinahe der Hälfte der Schweizer Verkaufsflächen liegt der Umsatzverlust im Jahr 2020 zwischen 10 und 15 Prozent. Hier handelt es sich um Unternehmen, die während des Lockdowns keinen nennenswerten Umsatz generieren konnten. Bei einem Fünftel der Verkaufsflächen ist der Umsatzverlust grösser als 15 Prozent des Jahresumsatzes. Betroffen sind in erster Linie Gastro­nomen und Detailhändler, die vom internationalen Tourismus abhängig sind, wie zum Beispiel Reisebüros, Souvenirläden und Restaurants.

Restaurants unter Druck


Als besonders bitter erscheint, dass die Covid-19-Krise die bereits unter Druck stehenden Branchen des aperiodischen Bedarfs am stärksten trifft. Hingegen wird die Lebensmittelbranche, welche in den letzten Jahren eine Um­satzsteigerung realisieren konnte und deren Filialzahl sich stabil entwickelte, im Jahr 2020 deutlich besser abschneiden als im Vorjahr. Ein hohes Insolvenzrisiko besteht vor allem in der Gastronomie, wo die Umsatzverluste aufgrund der anhaltenden Corona-Massnahmen weiter zunehmen. Ebenfalls stark betroffen ist die Modebranche, wo die aktuellen Umsatzeinbrüche auf eine lange Periode von Umsatzrückgängen folgen. In der Modebranche hängt die weitere Entwicklung stark davon ab, ob die Branche die schwache Frühlingssaison in der zweiten Jahreshälfte kompensieren kann.

Läuft man derzeit durch eine Einkaufsstrasse in einer durchschnittlichen Schweizer Stadt, so haben sich die Ladenschilder gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Das Ladensterben liegt im Jahr 2020 sogar auf einem tieferen Niveau als im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019, wie die Septemberdaten des «Retail Atlas» zeigen. In vielen Fällen hat das Massnahmenpaket des Bundes einen Teil der Umsatzverluste kompensieren können. Ob das ausreicht, muss sich erst zeigen. Unausweichlich wird es aber in den aperiodischen Branchen zu Schliessungen kommen. Gemäss der oben beschriebenen Faustregel werden die Schliessungen jedoch erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren eintreten.

Zitiervorschlag: Felix Thurnheer, Bouke-Pieter van Dijk, (2020). Mode und Gastronomie: Opfer der Corona-Krise. Die Volkswirtschaft, 19. November.