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Ökonomen als Krisenmanager

«Die enorme Unsicherheit und die rasante epidemiologische Entwicklung im In- und Ausland trüben den Blick in die unmittelbare Zukunft.» (Bild: Shutterstock)

Es war am 22. Januar. In einem Werkstattseminar im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) diskutierten wir, welche möglichen Risiken die Konjunkturentwicklung besonders beeinflussen könnten. Ein Mitglied des Teams Konjunkturanalyse sagte, in einer chinesischen Provinz verbreite sich eine Lungenkrankheit. Spätestens seit der Sars-Krise 2003 ist bekannt, dass eine Epidemie in einem weit entfernten Land den Gang der Weltwirtschaft beeinflussen kann. Wir erwarteten zu diesem Zeitpunkt aber nicht, dass die internationalen Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus wenige Wochen später alle westlichen Volkswirtschaften nahezu lahmlegen würden.

Die Arbeit von uns Seco-Ökonomen änderte sich damit schlagartig. Statt auf die gängige Konjunkturanalyse sowie unzählige laufende wirtschaftspolitische Projekte wie etwa den Aufbau einer staatlichen Investitionskontrolle zu setzen, war ab Februar Krisenmanagement angesagt. Um epidemiologische und ökonomische Szenarien abzugleichen, etablierten wir den ständigen Austausch mit medizinischen Fachexperten. Gleichzeitig überprüfen wir die Einschätzungen der internationalen und der nationalen Wirtschaftsentwicklung laufend, passen sie bei Bedarf an und prüfen wirksame Optionen einer Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die enorme Unsicherheit und die rasante epidemiologische Entwicklung im In- und Ausland trüben dabei den Blick in die unmittelbare Zukunft. In der Folge steigt das Interesse an neuartigen möglichst tages- und wochenaktuellen Wirtschaftsdaten.

Die von mir geleitete Taskforce «Covid-19 und Wirtschaft» koordiniert bundesweit die Wirtschafts- und Finanzpolitik. So haben wir beispielsweise unter hohem Tempo eine makroökonomische Konjunkturstützung in Milliardenhöhe aufgegleist. Die Kooperation in der Bundesverwaltung funktionierte bisher hervorragend.

Krisenerfahrungen von Vorteil


Die Schweizer Volkswirtschaft war mit der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009, der Eurokrise 2011 sowie der starken Frankenaufwertung 2015 schon vor Ausbruch der Pandemie krisenerprobt. Diese Erfahrung lehrte denn auch: Die nächste Krise kommt bestimmt – und wird andere Überraschungen mit sich bringen. Neu war mit der Corona-Krise, dass weite Teile ganzer Volkswirtschaften auf behördliche Anordnung geschlossen wurden. Als besonders herausfordernd erwies sich in diesem Kontext die laufende Güterabwägung zwischen hohem Schutz der öffentlichen Gesundheit und den damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten. Dass die Schweiz im internationalen Vergleich bisher glimpflich durch die Krise gekommen ist, haben wir nicht zuletzt dem gemeinsamen Verständnis von Ökonomen einerseits und Expertinnen und Experten aus dem Bereich Public Health anderseits zu verdanken.

Schliesslich hat die Bundesverwaltung in den vergangenen Monaten Erfahrungen mit Notrecht gesammelt: Bundesrätliche Verordnungen werden im Wochentakt erarbeitet, überarbeitet und zur neuerlichen Beschlussreife gebracht. Unweigerlich stösst man dabei auf demokratiepolitisch heikles Terrain vor. Entsprechend gross ist die Verantwortung. Und dennoch: Das ausserordentliche Engagement von Bund und Kantonen findet über Monate hinweg weitherum politische Unterstützung. Der Grund ist einfach: Hierzulande geniesst das Vertrauen in die Institutionen einen hohen Stellenwert. Dieser Standortvorteil kann nicht überschätzt werden.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2020). Ökonomen als Krisenmanager. Die Volkswirtschaft, 16. November.