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Digitalisierung: Tausende SBB-Stellen von Veränderungen betroffen

Die Digitalisierung verändert die Stellenprofile bei den SBB. Wie schafft die Bahn den Spagat zwischen nicht mehr gefragten Kompetenzen und neuen Berufsanforderungen?
Techniker überwachen eine Zugfahrt durch den Ceneri-Basistunnel im April 2020. (Bild: Keystone)

Mit über 32’000 Mitarbeitenden sind die SBB besonders stark von der Digitalisierung betroffen. Die Anforderungen an traditionelle Bahnberufe wie Rangier- und Lokpersonal verändern sich derzeit aufgrund der Einführung neuer Hilfsmittel wie zum Beispiel Tablets mit spezifischen Apps stark. Um diesen Wandel zu begleiten, hat das Bahnunternehmen zusammen mit Gewerkschaften den schweizweit ersten Digitalisierungsfonds eingerichtet. Dieser beschäftigt sich hauptsächlich mit den langfristigen Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die SBB und deren Mitarbeitende.

Im Auftrag des SBB-Digitalisierungsfonds haben wir in einer Studie untersucht, wie die digitale Transformation unternehmerisch so gestaltet werden kann, dass möglichst viele Mitarbeitende künftig im Arbeitsprozess verbleiben können und niemand ohne Selbstverschulden durch die geschaffenen Auffangstrukturen fällt.[1] Dabei gingen wir in vier Schritten vor.

Erstens analysierten wir die Fachliteratur der letzten fünf Jahre. Zweitens befragten wir Führungskräfte und Fachleute der SBB sowie die Gewerkschaften. Drittens führten wir Gruppeninterviews mit Mitarbeitenden und Vorgesetzten aus relevanten Berufsgruppen wie beispielsweise dem Rangierpersonal durch. Und viertens wandten wir uns mit einer onlinegestützten Befragung[2] an in- und ausländische Expertinnen und Experten aus anderen Unternehmen, Gewerkschaften und Verwaltungseinheiten. Im vorliegenden Artikel werden die zentralen Herausforderungen für die SBB in der digitalen Transformation beleuchtet.

Schöne neue Vuca-Welt


Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation wird oft von der sogenannten Vuca-Welt gesprochen. Vuca ist eine Abkürzung aus dem Englischen und steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit.[3] Unternehmen müssen heute in der Lage sein, auf ständig wechselnde Gegebenheiten produktiv zu reagieren, und sind darauf angewiesen, dass die Mitarbeitenden auf allen Stufen ein hohes Mass an Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft sowie an mentaler Widerstandsfähigkeit aufweisen.

Hohe fachübergreifende Sozial- und Selbstkompetenzen gelten als Erfolgsgaranten für einen produktiven individuellen Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung. Sie haben zudem eine weit höhere Halbwertszeit als fachspezifische Kompetenzen, die in immer kürzeren Abständen aktualisiert werden müssen.[4]

Die SBB fördern diese Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden mit einem vielfältigen Weiterbildungsangebot. Allerdings wird das Angebot vorwiegend von Mitarbeitenden genutzt, die bereits heute mit einem hohen Grad an Eigenverantwortung oder im Rahmen einer gezielten Talentförderung an ihrer Arbeitsmarktfähigkeit arbeiten.

Der digitale Wandel ist gerade in den bahnspezifischen Berufen wie etwa bei den Zugbegleitenden sowie den Mitarbeitenden der Betriebszentralen stark spürbar. Während auch hier die Förderung der digitalen Kompetenzen unbestritten ist, könnte die Stärkung der individuellen «Change-Kompetenz» noch mehr Raum einnehmen. Die Kompetenzförderung der Mitarbeitenden in fachübergreifender Hinsicht hat für das Unternehmen zudem den Nutzen, dass Mitarbeitende vielseitiger und flexibler in verschiedenen Aufgabenbereichen oder bereichsübergreifenden Projekten eingesetzt werden können. Daraus folgen eine höhere Agilität und Flexibilität für das Unternehmen.

Neuer Führungsstil


Auch seitens der Führungskräfte verlangt die Digitalisierung ein Umdenken. So gilt es beispielsweise agile Arbeitsformen – etwa in Form von bereichsübergreifenden Teams – zu ermöglichen. Diese Teams sollen möglichst autonom arbeiten können, da dies Innovation begünstigt. Dazu ist ein auf Motivation und Vertrauen basierender Führungsstil besonders geeignet.

Teamleitende spielen dabei als Verbindungsglieder zwischen dem mittleren Kader und der Basis eine zentrale Rolle. Sie können entscheidend dazu beitragen, die Akzeptanz von Veränderungen im Unternehmen zu erhöhen. Um die Mitarbeitenden gezielt in ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu unterstützen, sollten die Teamleitenden vermehrt als Lern-Coaches agieren. Dazu braucht es gezielte Schulungen.

Verstärkter Fachkräftemangel


In gewissen SBB-Sparten wie Personenverkehr und Infrastruktur sind aufgrund der Digitalisierung mehr Fachkräfte gefragt. Da das Rekrutieren immer neuer Leute kostspielig ist, lohnt es sich, so viele Mitarbeitende wie möglich im Unternehmen zu behalten. Personalentwicklungsmassnahmen und bewusste Arbeitsgestaltung tragen dazu bei, dass Mitarbeitende mit der digitalen Transformation gut umgehen können.

Mit dem Angebot einer Standortbestimmung für Mitarbeitende (sogenannter Boxenstopp) verfügen die SBB bereits über ein Instrument, um die Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden zu stärken. Im Rahmen dieses «Boxenstopps» werden zusammen mit einer Fachperson individuelle, der Lebens- und Arbeitssituation angepasste nächste Schritte erarbeitet, die von den einzelnen Mitarbeitenden in eigener Verantwortung umgesetzt werden sollen.

Aktuell konzipieren die SBB ein neues Instrument mit dem Arbeitstitel «Zukunftsgespräch». Auch dieses soll im Bereich der präventiven Massnahmen zur Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit positioniert werden. Das Gefäss bietet die Möglichkeit, die ganzheitlich verstandene Arbeitsmarktfähigkeit zu besprechen und hinsichtlich kommender Veränderungen zu beleuchten.

Technologiestress vermeiden


Wenn Mitarbeitenden der Umgang mit einer neuen Technologie nicht gelingt, kann dies belastend sein. Multitasking, die Informationsflut, technische Probleme, der kontinuierliche Lernbedarf, häufige System-Upgrades mit entsprechenden Veränderungen sowie die ständige Verfügbarkeit verursachen insbesondere Stress. Aus diesem «Technologiestress» können eine verringerte Arbeitszufriedenheit, ein reduziertes Commitment, eine tiefere Produktivität und höhere Fehltage resultieren. Im Extremfall sind auch Erschöpfungszustände und Burn-outs möglich.[5]

Ein wirksames Gegenmittel ist es, die Resilienz der Mitarbeitenden zu stärken. Eine wichtige Rolle spielt dabei die «Selbstwirksamkeit»: Selbstwirksame Personen sind überzeugt, die nötigen Fähigkeiten zu haben, und lassen sich dementsprechend unbefangener auf neue Technologien ein.

Ein nützliches diesbezügliches Tool der SBB ist der «Digi-Check». Er ermöglicht eine individuelle Standortbestimmung bezüglich der digitalen Fähigkeiten. Noch wichtiger in Bezug auf die Selbstwirksamkeit sind Erfolgserlebnisse im direkten Umgang mit neuen Technologien. Dazu ist die Schulung der Fertigkeiten zwar die Voraussetzung – entscheidend ist aber, dass Mitarbeitende bei der Entwicklung neuer Tools frühzeitig einbezogen werden und dass ihnen Möglichkeiten des «gefahrlosen» Ausprobierens der neuen Skills angeboten werden. Hier gibt es bei den SBB noch Verbesserungspotenzial.

Mitarbeitende mit Schwierigkeiten


Besonders betroffen von den durch die Digitalisierung und die Automatisierung hervorgerufenen Veränderungen sind Geringqualifizierte. Für sie ist der Aufwand besonders gross, die neu benötigten Kompetenzen zu erlernen.[6]

Gleichzeitig sind die SBB mit einem – kurzfristig nicht auflösbaren – Fachkräftemangel konfrontiert.[7] Ein Ausweg aus dieser Situation bietet der «Work-Worker-Fit»: Mit diesem Ansatz kann die Lücke zwischen Arbeitskräftepotenzial und Anforderungen der Arbeitsstellen verkleinert werden. Dabei werden sowohl die Potenziale der Mitarbeitenden gesteigert wie auch die effektiv erforderlichen Anforderungen an Berufsprofile überprüft.

Bereits heute gehen die SBB frühzeitig und präventiv auf Mitarbeitende mit einer als kritisch beurteilten Arbeitsmarktfähigkeit zu. Basierend auf den Standortbestimmungen und eigenen Beobachtungen, suchen die Teamleitenden mit den betreffenden Mitarbeitenden das Gespräch und diskutieren die Möglichkeiten im internen und externen Stellenmarkt.

Change als Chance


Die SBB verfügen bereits über viele Instrumente, die den Change-Prozess unterstützen – wie etwa den «Boxenstopp» oder den «Digi-Check». Eine wichtige Rolle fällt dem Arbeitsmarktcenter (AMC) als Auffangeinrichtung innerhalb der SBB zu. Mitarbeitende und Gewerkschaften schätzen die durch das AMC gewährleistete Arbeitsplatzsicherheit auf dem Weg zur beruflichen Neuorientierung und sind dadurch offener für Veränderungen.

Um den digitalen Herausforderungen begegnen zu können, ist letztlich ein gutes Zusammenspiel aller Akteure zentral. Dabei stehen insbesondere die Unternehmensleitung sowie die direkten Vorgesetzten in der Verantwortung. Aufgaben der Unternehmensleitung sind die Entwicklung einer stringenten Strategie zur Bewältigung der mit der digitalen Transformation einhergehenden Herausforderungen sowie das Etablieren einer Unternehmens- und Führungskultur, in der Change von den Mitarbeitenden nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen wird. Direkte Vorgesetzte und insbesondere Teamleitende übernehmen eine Vorreiterrolle für den Change. Daneben sind aber auch die einzelnen Mitarbeitenden selbst gefordert. Sie stehen in der Pflicht, zunehmend Eigenverantwortung zu übernehmen.

Die SBB haben somit gute Voraussetzungen, den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten. Die grösste Herausforderung besteht darin, die Kultur des permanenten Wandels sowohl auf der strategischen wie der operativen Führungsebene umzusetzen.

  1. Bennett et al. (2020). []
  2. Anhand Delphi-Methode. []
  3. Volatility, uncertainty, complexity, ambiguity. []
  4. Alonso (2019); Soucek et al. (2019). []
  5. Tarafdar et al. (2015). []
  6. De Grip und Zwick (2004). []
  7. OECD (2017). []

Literaturverzeichnis

  • Alonso, G. (2019). Technik braucht Kultur – Lernkultur und Kompetenzentwicklung im Zeitalter der Digitalisierung. In R. A. Fürst (Hrsg.), Gestaltung und Management der digitalen Transformation: Ökonomische, kulturelle, gesellschaftliche und technologische Perspektiven (S. 329–346).
  • Bennett, J., Marti, M., Neuenschwander, P., und Adrian, N. (2020). Schlussbericht der Studie «Soziale Sicherheit und Arbeitsmarktfähigkeit». Berner Fachhochschule und Ecoplan.
  • De Grip, A., und Zwick, T. (2004). The Employability of Low-skilled Workers in the Knowledge Economy.
  • OECD (2017). Public Governance Reviews Skills for a High Performing Civil Service.
  • Soucek, R., Schlett, C., und Pauls, N. (2019). Stark im Arbeitsleben – Instrumente zur Erfassung und Förderung von Resilienz. In J. Heller (Hrsg.), Resilienz für die VUCA-Welt: Individuelle und organisationale Resilienz entwickeln (S. 101–113).
  • Tarafdar, M., Pullins, E. B., und Ragu‐Nathan, T. S. (2015). Technostress: Negative Effect on Performance and Possible Mitigations. Information Systems Journal, 25(2), 103–132.

Bibliographie

  • Alonso, G. (2019). Technik braucht Kultur – Lernkultur und Kompetenzentwicklung im Zeitalter der Digitalisierung. In R. A. Fürst (Hrsg.), Gestaltung und Management der digitalen Transformation: Ökonomische, kulturelle, gesellschaftliche und technologische Perspektiven (S. 329–346).
  • Bennett, J., Marti, M., Neuenschwander, P., und Adrian, N. (2020). Schlussbericht der Studie «Soziale Sicherheit und Arbeitsmarktfähigkeit». Berner Fachhochschule und Ecoplan.
  • De Grip, A., und Zwick, T. (2004). The Employability of Low-skilled Workers in the Knowledge Economy.
  • OECD (2017). Public Governance Reviews Skills for a High Performing Civil Service.
  • Soucek, R., Schlett, C., und Pauls, N. (2019). Stark im Arbeitsleben – Instrumente zur Erfassung und Förderung von Resilienz. In J. Heller (Hrsg.), Resilienz für die VUCA-Welt: Individuelle und organisationale Resilienz entwickeln (S. 101–113).
  • Tarafdar, M., Pullins, E. B., und Ragu‐Nathan, T. S. (2015). Technostress: Negative Effect on Performance and Possible Mitigations. Information Systems Journal, 25(2), 103–132.

Zitiervorschlag: Jonathan Bennett, Michael Marti, Peter Neuenschwander, (2020). Digitalisierung: Tausende SBB-Stellen von Veränderungen betroffen. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.