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Zwischenverdienst: Ein Instrument zur Krisenbewältigung?

Stellensuchende profitieren von Zwischenverdiensten – vor allem in Krisenzeiten. Sie könnten deshalb auch in der aktuellen Situation helfen.

Zwischenverdienst: Ein Instrument zur Krisenbewältigung?

Junge Stellensuchende profitieren von Zwischenverdiensten am meisten. (Bild: Keystone)

Als Zwischenverdienste werden sämtliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezeichnet, die Arbeitslose während ihres Anspruchs auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung (ALV) erzielen. Solche Zwischenverdienste sind meist kurze, befristete Beschäftigungen auf Abruf. Ist der Verdienst geringer als die Arbeitslosenentschädigung, leistet die ALV zeitlich begrenzt Kompensationszahlungen. Dadurch stellen sich die Arbeitslosen hinsichtlich Einkommen besser als ohne den Zwischenverdienst. Gleichzeitig sparen sie ihre Taggeldansprüche auf und erwerben neue Beitragszeiten für die ALV.

Mehr als ein Drittel aller arbeitslosen Personen, die Taggelder der ALV beziehen, nimmt in den ersten zwölf Monaten ihrer Arbeitslosigkeit einen Zwischenverdienst an. Meistens geschieht dies schon früh in der Arbeitslosigkeit und dauert nur sehr kurz. Die meisten Zwischenverdienste – rund ein Viertel – kommen über Personalvermittler und via Arbeitnehmerüberlassung zustande.

Im Idealfall fördern solche Verdienste durch die gewonnene Arbeitserfahrung und den direkten Kontakt mit potenziellen Arbeitgebenden eine rasche und dauerhafte Wiedereingliederung der Stellensuchenden. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr von negativen längerfristigen Auswirkungen, sollten die Stellensuchenden durch den Zwischenverdienst in schlechter bezahlte Stellen oder instabile Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden.

Studie der Uni Basel


Doch welcher der beiden Effekte überwiegt? Wirken solche Zwischenverdienste eher positiv oder negativ auf den Erwerbsverlauf einer arbeitslosen Person? Das wollte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) herausfinden und hat dazu die Universität Basel beauftragt, dies zu untersuchen (siehe Kasten).

Die Studie[1] zeigt: Zwischenverdienste wirken im Durchschnitt positiv auf die Beschäftigungsaussichten ihrer Nutzer. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, sich vom Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) in eine reguläre Stelle abzumelden. Sie verkürzen die Arbeitslosigkeit, führen zu stabileren Erwerbsverläufen und verbessern die Einkommenssituation ihrer Nutzer. Dadurch führen sie zu erheblichen Einsparungen in der ALV. Und schliesslich profitieren von den Einkommensverbesserungen über höhere Einnahmen auch die Steuer- und Sozialversicherungssysteme (siehe Tabelle).

Durchschnittliche Wirkung von Zwischenverdiensten (ZV)












Was? Effekt
Beschäftigungswirkung 8,12 Prozentpunkte höherer Anteil, der bei Abmeldung aus dem RAV eine reguläre Stelle gefunden hat
Beschäftigungswirkung kumuliert (ohne ZV) 1,39 zusätzliche Monate regulär beschäftigt ohne Berücksichtigung des ZV
Beschäftigungswirkung kumuliert (inkl. ZV) 1,92 zusätzliche Monate beschäftigt mit Berücksichtigung des ZV
Wirkung auf die Arbeitslosigkeitsdauer 1,26 Monate weniger arbeitslos
Qualität der Beschäftigung 0,73 zusätzliche Monate mit Verdienst, der mindestens dem letzten versicherten Verdienst entspricht
Nettobilanz hinsichtlich Einkommen 12’709 Franken zusätzliches Einkommen
Nettobilanz für die Anzahl Taggelder 35,3 eingesparte Taggelder
Nettobilanz für die ALV 5462 Franken gesamthaft eingesparte Taggeldzahlungen


Quelle: Wunsch (2021). Nutzung und Wirkungen von Zwischenverdiensten.

Wirksam in Wirtschaftskrisen


Eine weitere Erkenntnis der Untersuchung ist: Je schlechter sich die Lage am Arbeitsmarkt gestaltet, desto wirksamer sind Zwischenverdienste. Sie haben sich insbesondere während der Finanzkrise ab 2007 bewährt. Dies legt den Schluss nahe, dass sie auch bei der Bewältigung der aktuellen Corona-Krise eine wichtige Rolle spielen könnten. Denn bei schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen mit unsicheren Zukunftsaussichten greifen Arbeitgeber vor allem auf flexible Beschäftigungsformen zurück, für die sich Zwischenverdienste sehr gut eignen. Dies zeigt sich auch an den aktuellen Stellenausschreibungen. Für Stellensuchende, die bereit sind, einen solchen Zwischenverdienst anzunehmen, lohnt sich dies doppelt: Zum einen ergibt sich dadurch die Möglichkeit, schwierige Zeiten am Arbeitsmarkt zu überbrücken. Zum anderen profitieren sie von der Funktion als Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung.

Besonders positiv wirken Zwischenverdienste der Personalvermittlung und der Arbeitnehmerüberlassung. Sie stellen somit eine wichtige Brückenfunktion dar, durch die Arbeitslose wieder in eine reguläre Beschäftigung zurückfinden. Am stärksten von den Zwischenverdiensten profitieren zudem Stellensuchende mit eher schlechten Beschäftigungsaussichten – sei es wegen eines tiefen Ausbildungsniveaus oder fehlender Sprachkenntnisse –  sowie jüngere Stellensuchende.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Wirkung jedoch ab, und ab 55 Jahren wirken Zwischenverdienste sogar negativ. Die Analysen sprechen dafür, dass ältere Personen die Zwischenverdienste weniger nutzen, um den Sprung in eine reguläre Beschäftigung zu schaffen, als vielmehr zur Verlängerung ihrer ALV-Ansprüche. Hier besteht möglicherweise ein Zielkonflikt zwischen Schadensminderung in der ALV und anderen sozialpolitischen Zielen wie der Vermeidung von Altersarmut oder der sozialen Integration.

Kaum Mitnahmeeffekte


Bei Arbeitgebern oder Branchen, die Zwischenverdienste sehr häufig nutzen, könnte der Verdacht aufkommen, dass sie diese systematisch nutzen, um die Lohnkosten zu senken. Denn die Kompensationszahlungen der ALV stocken einen geringen Zwischenverdienst zu einem insgesamt höheren Einkommen der Arbeitslosen auf. Bei der Stellenbesetzung über einen Zwischenverdienst könnte der Arbeitgeber den Lohn somit um die Höhe der Kompensationszahlungen reduzieren, ohne dass es für den Arbeitslosen einen Unterschied macht. Tut dies ein Arbeitgeber, spricht man von Mitnahmeeffekten.

Insgesamt deuten die Ergebnisse jedoch nicht auf bedeutsame Mitnahmeeffekte hin. Selbst wenn bestimmte Arbeitgeber oder Branchen vereinzelt davon profitieren sollten, ist die Bilanz für Stellensuchende, die ALV und den Fiskus unter dem Strich immer noch positiv. Unsere Analysen zeigen ausserdem, dass Zwischenverdienste bei Arbeitgebern, die diese häufiger nutzen, sogar wirksamer sind. Der Grund: Insbesondere Personalvermittler als häufige Nutzer üben eine wichtige Brückenfunktion bei der erfolgreichen Wiedereingliederung von Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt aus. Und Zwischenverdienste erhöhen die Bereitschaft, solche Tätigkeiten anzunehmen.

Insgesamt haben Zwischenverdienste für ihre Nutzer somit eine positive Bilanz. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass sie für Arbeitgeber zum einen als Instrument dienen, um einen geeigneten Stellensuchenden für eine potenzielle Festanstellung auszuwählen. Zum anderen erhöhen sie die Bereitschaft der Stellensuchenden, vorübergehend auch weniger attraktive Beschäftigungsformen anzunehmen.

Ohne das Instrument der Zwischenverdienste wäre es für Arbeitgebende deutlich schwieriger, solche Stellen zu besetzen. Dies spielt insbesondere in wirtschaftlich problematischen Zeiten wie der aktuellen Corona-Krise eine bedeutende Rolle, in denen Arbeitgebende verstärkt auf solche flexible Beschäftigungsformen zurückgreifen.

Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass Zwischenverdienste die Beschäftigungsaussichten ihrer Nutzer zulasten anderer Stellensuchender oder Beschäftigter verbessern. Solche Verdrängungseffekte können mit der hier verwendeten Methode aber nicht untersucht werden. Für eine abschliessende Beurteilung braucht es deshalb weiterführende Analysen.

  1. Wunsch (2021). Nutzung und Wirkungen von Zwischenverdiensten. Endbericht zuhanden Seco. []

Zitiervorschlag: Conny Wunsch (2021). Zwischenverdienst: Ein Instrument zur Krisenbewältigung. Die Volkswirtschaft, 31. März.

Das Studiendesign in Kürze

Die Studie der Uni Basel verwendet verschiedene administrative Datenquellen mit Informationen zu allen Personen, die im Zeitraum 2002 bis 2016 Taggelder der Arbeitslosenversicherung bezogen haben. Bei der Wirkungsmessung wurde berücksichtigt, dass die Entscheidung für oder gegen einen Zwischenverdienst mehrfach in Abhängigkeit vom Verlauf der Stellensuche gefällt werden kann. Um Verzerrungen zu verhindern, wurde ein sogenanntes Matchingverfahren gewählt: Für jeden Monat der Arbeitslosigkeit wird eruiert, wer einen Zwischenverdienst antrat und wer nicht. Für jede Person mit Zwischenverdienst in diesem Monat werden Vergleichspersonen ausgewählt, die keinen Zwischenverdienst hatten, in allen übrigen arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften jedoch faktisch identisch sind.

Hierbei werden zum einen die persönlichen arbeitsmarktrelevanten Merkmale und die bisherigen Erwerbsverläufe berücksichtigt. Zum anderen werden aber auch das Suchverhalten und die erhaltene Unterstützung in der Regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) während der bisherigen Arbeitslosigkeit einbezogen.