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Rohstofffinanzierung: Händler unter Druck

Die Finanzierung des Rohstoffhandels befindet sich im Umbruch. Einerseits wurden die Vorschriften für die Banken deutlich verschärft, andererseits haben mehrere Betrugsskandale als Folge der Corona-Pandemie die Geldgeber aufgeschreckt.
Im Jahr 2014 sorgten gefälschte Zertifikate im Hafen von Qindao, China, für Aufsehen. Eisenerzverlad. (Bild: Shutterstock)

Handelsfirmen verfügen oft über zu wenig Eigenkapital, um einzig gestützt auf ihre Bilanzen Kredite für ihre Geschäfte zu erhalten. Dabei geht es um beträchtliche Summen. So ist die Fracht eines grossen Öltankers über 100 Millionen Franken wert. Um das Finanzierungsproblem zu lösen, haben Rohstoffhändler in den 1970er-Jahren damit begonnen, die Fracht bei den Banken zu verpfänden: Die Rohstoffe wurden damit zur Rückzahlungsgarantie. Das Modell der sich selbst liquidierenden Transaktionsfinanzierung war geboren.[1]

Wichtige Akteure bei der Finanzierung des Rohstoffhandels sind französische, niederländische und schweizerische Banken. Darunter finden sich etwa die französischen BNP Paribas, Crédit Agricole, Société Générale, Natixis und jüngst auch Bic Bred, die niederländischen ING, ABN Amro, Rabobank und die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse sowie die Genfer, die Waadtländer und die Zürcher Kantonalbank. Weitere wichtige in der Rohstofffinanzierung tätige Banken sind Unicredit, RBI, HSCB, BCP, Credit Europe, Arab Bank, Erste, DBS, UOB, OCBC, SMBC und MUFG. Eine Mehrheit dieser Finanzinstitute betreibt ihre Geschäfte aus der Schweiz heraus. Weitere Handelszentren sind London, Paris, New York und Singapur.

Im Laufe der Jahre haben die Banken und ihre Kunden das ursprüngliche Finanzierungsmodell an die spezifischen Bedürfnisse – etwa in Bezug auf die Vorauszahlung, die Lagerung, die Verarbeitung, den Vertrieb und die Forderungskäufe – angepasst. Inzwischen finanzieren Banken einen grossen Teil der Wertschöpfungskette. Besonders robusten Handelsunternehmen bieten sie sogenannte Konsortialkredite an, die von mehreren Kreditinstituten im Verbund vergeben werden und die erneuerbar, unbesichert, äusserst flexibel und meist günstig sind. Damit können Händler ihren Betriebskapitalbedarf insbesondere bei Nachschusszahlungen («Margin Calls») rasch decken, um sich gegen Preisrisiken abzusichern.

Strengere Vorschriften


Weil die Regulierung in der Rohstofffinanzierung zugenommen hat, müssen Banken ihre Kunden und deren Aktionäre heute genau kennen. Zudem sind sie verpflichtet, Sorgfaltspflichten zur Bekämpfung von Geldwäscherei einzuhalten. Um in zahlreichen Ländern allfälligen Sanktionen zu entgehen, haben die Banken kostspielige systematische Überprüfungsmechanismen eingeführt. Erschwerend wirken auch die Vorschriften des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, der die Eigenmittelanforderungen gegenüber früher deutlich angehoben hat – was zu beträchtlichen Finanzierungslücken führte.

Angesichts dieser Entwicklungen schränkten die meisten Banken die Kreditvergabe ein. In der Rohstofffinanzierung fokussieren sie heute vermehrt auf etablierte Grossunternehmen, weil hier die Kredit- und Reputationsrisiken überschaubarer sind als bei kleineren Firmen. Die Grossunternehmen sind auch eher in der Lage, die neuen Bedingungen der Finanzinstitute zu akzeptieren, da sie meist über viel Liquidität verfügen und mit grossen Mengen handeln, tiefe Zinsen erhalten und einen Teil der zusätzlichen Kosten auf ihre Geschäftspartner abwälzen können.

Demgegenüber kündigten viele Banken kleinen und mittleren Unternehmen ihre oft langjährigen Beziehungen, definierten fixe Jahreszinsen oder verlangten Eigenmittel von mindestens 20 bis 100 Millionen Dollar. Diese durchaus nachvollziehbaren Massnahmen der Banken schmälerten die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Handelsfirmen, welche gezwungen waren, andere und teurere Finanzierungsquellen zu erschliessen. Gleichzeitig nahm die Marktkonzentration zu.

Mehr Betrugsfälle


Auch die Corona-Pandemie bewirkte indirekt ein Umdenken bei den Banken: Wegen der ungewöhnlich volatilen Preise haben sich die Betrugsfälle im Rohstoffhandel gehäuft. In Asien waren 2020 unter anderem Agritrade, Hin Leong, Zenrock, Hontop, Sughi, Energy und Phoenix in Skandale verwickelt. Im laufenden Jahr sind weitere mutmassliche Betrugsfälle publik geworden, allen voran die Insolvenz der britischen Investmentgesellschaft Greensill, deren Schäden noch nicht abzusehen sind. Schon in den Jahren zuvor hatten Missbrauchsfälle für Aufsehen gesorgt, etwa die Fälschung von Lagerzertifikaten im Hafen von Qingdao im Jahr 2014, mit denen sich chinesische Unternehmen Bankkredite verschafft hatten.

Die jüngsten Skandale trafen praktisch alle Banken und hinterliessen ein gigantisches Loch in ihren Kassen. Allein der Konkurs des singapurischen Ölhändlers Hin Leong kostete 3,5 Milliarden Dollar. Viele Finanzinstitute wie ABN Amro oder BNP Paribas haben sich inzwischen ganz aus dem Markt zurückgezogen. Andere Banken wie die Société Générale Singapur machten ihre Filialen dicht oder überdachten – wie etwa ING – ihr Geschäftsmodell.

Anpassungsfähigkeit gefragt


Beide Trends haben dazu geführt, dass Banken für die Finanzierung reiner Handelsaktivitäten weniger Kapital zur Verfügung stellen. Nebst den kleinen und mittleren Handelsfirmen bekunden auch Grosshändler bei als riskant eingestuften Transaktionen zusehends Mühe, an Kredite zu kommen. In der Folge wenden sich viele Handelsunternehmen vermehrt an spezialisierte Fonds wie Inoks, EFA, Barak oder SCCF, die vor zehn Jahren noch als letzter Ausweg galten. Inzwischen geniessen sie in der Branche aber einen deutlich besseren Ruf – auch deshalb, weil sie ein echtes Bedürfnis erfüllen. Verglichen mit der Bankenfinanzierung handelt es sich hier aber nach wie vor um ein relativ unbedeutendes Angebot, was hauptsächlich daran liegt, dass institutionelle und private Anleger diesen Markt zu wenig kennen.

Eine weitere Herausforderung für die Rohstoffhändler ist die Digitalisierung. Viele Beteiligte, namentlich Banken, investieren derzeit massiv in Blockchain-Projekte wie Komgo, Contour oder Marco Polo. Damit sollen die Geschäfte gesichert und digitalisiert, die Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern vereinfacht, das Fehlerrisiko und die Kosten gesenkt und die Geschäftsabwicklung beschleunigt werden.

Und schliesslich unternimmt die Branche Anstrengungen, die Nachhaltigkeit zu erhöhen. Ob diese Bestrebungen vom aufrichtigen Willen der Firmen zeugen, der Klimawende zum Durchbruch zu verhelfen, oder ob sie dem zunehmenden Druck der Investoren, Staaten und Banken oder dem eigenen Image geschuldet sind, spielt letztlich keine Rolle. Fakt ist: Die Nachhaltigkeit ist zu einem Schlüsselthema für Rohstoffhändler geworden.

Der Rohstoffhandel verändert sich somit grundlegend, wobei die pandemiebedingten Marktturbulenzen die Branche zusätzlich fordern. Dennoch sind die Zukunftsaussichten gut. Denn Handelsunternehmen und Banken haben bewiesen, dass sie durchaus in der Lage sind, sich anzupassen und den sich wandelnden Marktbedürfnissen wirksam zu begegnen. Die Händler nehmen dabei zunehmend eine Vermittlerrolle wahr: Sie agieren als Bindeglied zwischen den Rohstoffproduzenten und den Kunden, an die sie die Rohstoffe weiterverkaufen. Indem sie sich um die Logistik, die Steuerung des Preisrisikos, flexible Zahlungsfristen und das Kreditrisiko kümmern, bleiben sie weiterhin unverzichtbar.

  1. Vgl. den Beitrag von Lea Haller in dieser Ausgabe. []

Zitiervorschlag: Guillaume de La Ville (2021). Rohstofffinanzierung: Händler unter Druck. Die Volkswirtschaft, 31. Mai.