Suche

Abo

Ohne Patente keine Pharma

Die Entwicklung eines neuen Medikaments ist teuer. Patente bieten den Unternehmen und ihren Investoren die nötige Planungssicherheit.

Ohne Patente keine Pharma

Laborantin des Pharmaunternehmens Polyphor im Kanton Basel-Landschaft. (Bild: Keystone)

Das Schweizer Start-up Neurimmune sorgte dieses Jahr für Schlagzeilen: Sein Alzheimer-Wirkstoff erhielt die Zulassung der US-Pharmaaufsicht. Das Spin-off der Universität Zürich hatte die Substanz bereits vor 15 Jahren entwickelt und an das US-Biotechunternehmen Biogen lizenziert.[1]

Noch ganz am Anfang auf dem Weg zum praktisch anwendbaren Erfolg steht das 2017 gegründete Zürcher Start-up Anjarium Bioscience. Das Jungunternehmen hat eine neue Methode in der Gentherapie entwickelt. Im September 2021 gelang es Anjarium Bioscience, in einer ersten Finanzierungsrunde neben anderen Risikokapitalgebern den Pharmakonzern Pfizer an Bord zu holen.[2]

Diese zwei Erfolgsgeschichten aus der Schweiz zeigen: Am Anfang einer Firmengründung steht oft eine Idee. In einem zweiten Schritt gilt es Investoren zu finden.

Der Weg von einer neuen Substanz zu einem Medikament ist lang und vor allem teuer. Von über 10’000 neuen Substanzen, die in der Grundlagenforschung entstehen, schafft es in der Regel nur eine bis zu einem neuen Medikament.[3] Alle anderen fallen im Rahmen der präklinischen oder klinischen Forschung aus dem Prozess. Insgesamt verursacht die Entwicklung eines einzelnen Medikaments bis zur Marktreife für den Hersteller Kosten von über zwei Milliarden Franken.[4] Darin sind auch die Kosten gescheiterter Versuche enthalten.

Patent als Anreiz

Damit ein Investor bereit ist, solche Summen in eine gute Idee zu investieren, braucht er die Sicherheit, dass kein anderes Unternehmen das gleiche Medikament auf den Markt bringen darf. Ohne diese Sicherheit könnten Trittbrettfahrer die Erfindung einfach kopieren – da Wirkstoffe meist verhältnismässig einfach nachgebaut werden können.

Damit der Markt für neue Medikamente nicht zum Erliegen kommt, gibt es den Patentschutz. Dieser sichert den Herstellern für eine gewisse Zeit eine Monopolstellung. Das Patentsystem bietet somit die notwendigen Anreize, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Um eine Erfindung zur Marktreife zu bringen, können Start-ups ihre Erfindungen dank Patentschutz gezielt an andere Unternehmen lizenzieren.

Im Gegenzug für diese zwanzigjährige Exklusivität, die ein Patent bietet, muss der Patentinhaber seine Erfindung offenlegen. Das heisst, er beschreibt in der Patentschrift, wofür er genau den Patentschutz erlangen will. Dank dieser «Offenbarung» ist es beispielsweise für Dritte möglich, die Erfindung als Ausgangslage zu verwenden, um sie weiterzuentwickeln oder als Inspiration für neue Forschung zu nutzen. Ist die Schutzfrist abgelaufen, kann die Erfindung auch kommerziell – also ohne Lizenz des Patentinhabers – von Dritten genutzt werden. Solche Medikamente, die nach dem gleichen «Rezept» wie das Original hergestellt sind, bezeichnet man als Generika.

Wichtigste Exportbranche

Auch Roche oder Novartis – respektive deren Vorgängerfirmen – waren einmal Start-ups, seither sind sie zu Weltkonzernen gewachsen. Heute hat die Pharmaindustrie für die Schweizer Volkswirtschaft eine entscheidende Bedeutung: Mit rund einem Prozent aller Beschäftigten, die in Schweizer Unternehmen arbeiten, erwirtschaftet sie über fünf Prozent der Schweizer Wertschöpfung.[5] Mittlerweile sind über die Hälfte aller Warenexporte aus der Schweiz Pharmazeutika.[6]

Es verwundert daher nicht, dass die grossen Pharmafirmen zu den aktivsten Patentanmeldern der Schweiz gehören. Gewichtet man die Patentportfolios von Roche und Novartis nach deren wirtschaftlicher Bedeutung, so liegen sie weit vor anderen forschenden und international tätigen Schweizer Unternehmen wie ABB oder Nestlé.[7]

Allerdings lassen sich nicht alle Anreizprobleme für Innovation im Pharmabereich mit Patenten lösen. So ist es beispielsweise für Unternehmen nicht attraktiv, Forschungsgelder in Medikamente für Krankheiten zu stecken, die vor allem Patientinnen und Patienten in ärmeren, meist tropischen Ländern betreffen. In diesen Fällen braucht es alternative Anreizmechanismen. Eine wichtige Rolle bei solchen sogenannten vernachlässigten Tropenkrankheiten spielen externe Geldgeber wie etwa die Bill & Melinda Gates Foundation. Ebenfalls zentral sind staatliche Forschungsbeiträge. Die bekannteste internationale Non-Profit-Organisation, die auch mit Projektgeldern des Bundes unterstützt wird, ist die Drugs for Neglected Diseases Initiative mit Sitz in Genf.

Patent als Schutzschild

Patente können nicht nur zum Schutz vor Trittbrettfahrern eingesetzt werden. In ausgereiften Schutzstrategien erfahrener Unternehmen werden Patente nicht selten auch dazu benutzt, um beispielsweise Konkurrenten vom eigenen Forschungsgebiet möglichst fernzuhalten. Dies geschieht zum Beispiel, indem in einem für ein Unternehmen wichtigen Technologiefeld sehr viele Patente angemeldet werden. Bei Start-ups im Pharmasektor sind Patente zudem – wie eingangs erwähnt – wichtig für die Investorensuche.

Insgesamt nimmt die Bedeutung von Patenten in Schutzstrategien im Pharmabereich jedoch ab. Immer wichtiger werden Daten aus dem Gesundheitsbereich: So hat sich beispielsweise Roche mit der Analyse und dem Handel von anonymisierten und aggregierten Patientendaten ein neues Standbein geschaffen.[8] Vorläufig gilt aber noch, dass die Schweiz ohne Pharmaindustrie genauso wenig vorstellbar ist wie eine Pharmaindustrie ohne Patentsystem.

Unter Beschuss

Gerade in der Covid-19-Pandemie hat sich das Patentsystem als Anreizmechanismus bewährt: Innert Rekordzeit wurden über ein Dutzend Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt, zugelassen und industriell produziert. Dennoch ist der Patentschutz nicht unumstritten. So fordern Indien und Südafrika im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) seit Herbst 2020, den Patentschutz während der Covid-19-Pandemie auszusetzen. Von der Forderung betroffen sind neben Patentrechten aber auch andere Rechte an geistigem Eigentum, und dies mit Bezug auf alles, was im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie steht. An der WTO-Ministerkonferenz von Anfang Dezember 2021 soll hierzu ein Beschluss gefasst werden.[9]

Die Schweiz ist überzeugt, dass die Aufhebung des bewährten internationalen Rechtsrahmens der falsche Weg wäre. Dadurch würden sämtliche Produktionspartnerschaften zwischen Inhabern von entsprechenden Patenten und Produzenten rund um den Globus infrage gestellt. Die Schweiz unterstützt deshalb stattdessen internationale Initiativen wie Act-A oder die Covax-Facility: Hier arbeiten unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verschiedene Akteure aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor zusammen, um auch ärmeren Ländern den Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zu ermöglichen.[10]

  1. NZZ (2021). []
  2. «Tages-Anzeiger» (2021a). []
  3. Interpharma (2021). []
  4. Interpharma (2021). []
  5. Vgl. BAK Economics (2019). []
  6. Ohne Wertsachen und Transithandel; siehe Beitrag von Sergio Aiolfi in diesem Schwerpunkt. []
  7. Vgl. Bechtold und de Rassenfosse (2019). []
  8. «Tages-Anzeiger» (2021b). []
  9. Nach Redaktionsschluss. []
  10. Für die offizielle Haltung der Schweiz siehe IGE (2021). []

Literaturverzeichnis

 

 

 

 

 

 

 


Bibliographie

 

 

 

 

 

 

 

Zitiervorschlag: Hansueli Stamm (2021). Ohne Patente keine Pharma. Die Volkswirtschaft, 29. November.