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Die «Finanzmarktaufsicht der Zukunft»

Der zunehmend digitalisierte Finanzplatz beeinflusst auch die Aufsicht. Die Finma wendet bei digitalen Geschäftsmodellen den Grundsatz «Inhalt vor Form» an – und setzt selber vermehrt auf digitale Tools.
Ein sogenanntes NFT-Kunstwerk (Non Fungible Token) an der Messe Affordable Art Fair im Herbst 2021 in Hamburg. (Bild: Keystone/DPA/Marcus Brandt)

Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Blockchain erlauben im Finanzbereich neue Geschäftsmodelle, die sich an der Schnittstelle zwischen Bank, Versicherung, Vermögensverwaltung und Handelsplattform befinden.[1] Entsprechend verschwimmen die Grenzen zwischen verschiedenen Typen von Finanzinstituten zusehends. In Asien ist diese Entwicklung hin zum «Dienstleistungs-Ökosystem» bereits weit fortgeschritten. Doch auch in der Schweiz ist die Vielfalt der Finanzbranche hoch: Inzwischen überwacht die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) insgesamt bereits 29’000 Institute und Produkte. Im Jahr 2014 waren es noch rund 24’500.

Die Finma, die den gesetzlichen Auftrag[2] hat, sich für den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte ebenso wie für den Schutz von Gläubigerinnen, Anlegern und Versicherten einzusetzen, wurde schon früh mit innovativen Geschäftsmodellen konfrontiert. Ab 2014 häuften sich Anfragen zu Crowdfunding und Kryptowährungen. Im Jahr 2015 brachte sich die Finma bei der Entwicklung einer Fintech-Bewilligung beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) ein. Ein Jahr später eröffnete die Finma – als eine der ersten Behörden weltweit – ein Fintech-Desk.[3]

Weitere Meilensteine in der Schweiz waren die Sandbox, die eine vorgegebene Umgebung zum Testen von innovativen Geschäftsmodellen ermöglicht, die Erweiterung der bewilligungsfreien Abwicklungskonten[4] und zuletzt die Gesetzgebung zur Distributed-Ledger-Technologie (DLT), die den Handel mit Token regelt.[5] Insbesondere Letztere hat auch international grosse Aufmerksamkeit erregt.

Inhalt vor Form

Die Finma wendet den vom Gesetzgeber vorgegebenen Aufsichtsrahmen bei auf neuen Technologien beruhenden Projekten und Geschäftsmodellen an, indem sie dem Grundsatz «Inhalt vor Form» folgt. Das heisst, sie orientiert sich an der ökonomischen Funktion, nicht an der technologischen Form.

Jedes Bewilligungsgesuch, das der Finma vorgelegt wird, lässt sich grob vereinfacht in eine von drei Kategorien einteilen. Zur ersten Kategorie zählen neue Geschäftsmodelle, die sich ausserhalb des derzeitigen Aufsichtsbereichs der Finma befinden. In dieser Kategorie stellen sich zum Beispiel Fragen des Daten- oder Wettbewerbsrechts, die andere Stellen wie etwa der Datenschutzbeauftragte oder die Wettbewerbskommission zu beurteilen haben – gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Finma.

In die zweite Kategorie fallen neue Geschäftsmodelle, die Funktionen anbieten, mit denen wir bereits aus der analogen Welt vertraut sind, die sich aber in einem neuen technologischen Kleid präsentieren: beispielsweise, wenn neue Kundenbeziehungen per App statt am Bankschalter aufgenommen werden. Für diese Geschäftsmodelle besteht bereits ein Regulierungsrahmen. Entsprechend erfindet die Finma hier das Rad nicht neu. Stattdessen gilt der Grundsatz «Gleiches Risiko, gleiche Regel».

Doch das Prinzip «Alte Regeln für neue Technologien» hat auch seine Grenzen. Der Grundsatz «Gleiches Risiko, gleiche Regel» verlangt eben auch, dass neuen Risiken mit neuen Regeln begegnet wird. Daher gibt es eine dritte Kategorie, bei der das neue Geschäftsmodell eine neue ökonomische Funktion der Finanzdienstleistung ermöglicht. In solchen Fällen ist gegebenenfalls eine neue Regulierung notwendig, sofern für die Anlegerinnen, Bankkunden sowie für die Integrität des Finanzmarktes neue Risiken entstehen.

Suptech als Hilfe

Neue Technologien bieten auch für Aufsichtsbehörden neue Möglichkeiten. Daher hat die Finma ab 2021 das Ausschöpfen des Potenzials neuer Technologien in ihre strategischen Ziele aufgenommen. Im Fokus stehen vor allem zusätzliche Effizienz- und Effektivitätsgewinne. Die Digitalisierung und Automatisierung erlaubt es der Finma, die Schnittstellen mit den beaufsichtigten Instituten sowie auch interne Prozesse zu optimieren.

Indem Aufsichtsbehörden auf neue Technologien wie künstliche Intelligenz oder maschinelles Lernen setzen, wird die Aufsicht zunehmend datenbasiert. Häufig wird dieser Trend unter dem Schlagwort «Supervisory Technology» (Suptech) zusammengefasst.

Viele Aufsichtsbehörden versprechen sich von Suptech Vorteile und einen Beitrag zur Finanzstabilität. Dies geht aus einem kürzlich publizierten Bericht des Finanzstabilitätsrats (FSB) hervor.[6] Demzufolge kann der Einsatz von Suptech die Aufsichts- und Analysekapazitäten verbessern. Die meisten Behörden erwarten folglich auch eine Steigerung der Effizienz und Effektivität, die sich aus der Automatisierung ergibt. Weiter erhoffen sie sich dank der erhobenen Daten neue Erkenntnisgewinne zu Entwicklungen im Finanzmarkt. Eine Kostenreduktion steht dagegen gemäss dem FSB-Bericht weniger im Fokus.

Gewappnet für die Zukunft

Für eine wachsende Zahl von Behörden ist Suptech eine strategische Priorität. Der FSB-Bericht zeigt, dass die meisten befragten Behörden bereits über eine Suptech-, Innovations- oder Datenstrategie verfügen. So auch die Finma.

Die Finma orientiert sich dabei an drei Leitlinien. Erstens: Niemand will eine Roboteraufsicht. Suptech kann zwar ein starkes Instrument sein, um die Effizienz und Effektivität des Menschen zu erhöhen – sie kann und soll den Menschen aber nicht überflüssig machen. So werden zum Beispiel Vor-Ort-Kontrollen weiterhin durch Finma-Mitarbeitende aus Fleisch und Blut durchgeführt. Die Frage, wo diese genau hinschauen, wird aber zunehmend von technologisch unterstützten Entscheiden beeinflusst. Es gilt also die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, die abschliessenden Entscheide aber dem Menschen zu überlassen.

Zweitens: Technologie ist nicht per se neutral. Auch Technologien können einen «Bias» haben, der bis hin zu ethischen Überlegungen führen kann. Eine offensichtliche Schwäche ist der Fokus auf das Mess- und Quantifizierbare. Aber die Aufsicht darf nicht wegschauen, nur weil etwas nicht messbar ist.

Und drittens: Digitalisierung führt tendenziell zu einer Bevorzugung von Vorschriften, die nach einem schematischen Abhakprinzip überprüft werden können. Sie ist dort am einfachsten umzusetzen, wo jeder Einzelfall und jedes Detail reguliert ist. Eine Abkehr vom traditionell prinzipienbasierten, schlanken Schweizer Regulierungsansatz hin zu einem solchen «Tick the box»-Ansatz sollte aber vermieden werden.

Diese drei Leitlinien der Finma tragen dazu bei, dass die Vorzüge der Digitalisierung genutzt und gleichzeitig die Vorteile prinzipienbasierter Regulierung bewahrt werden können. Sie bilden damit eine wichtige Grundlage für die «Finanzmarktaufsicht der Zukunft».

  1. Dieser Beitrag basiert auf einem Referat von Marlene Amstad am Schweizerischen Bankiertag 2021. Siehe Amstad (2021). []
  2. Die Schweiz hat seit 2009 eine «integrierte Finanzmarktaufsicht», bei der die Aufsicht über Banken, Versicherungen, Anlagefonds, Börsen sowie Vermögensverwalter unter einem Dach zusammengeführt ist. In anderen Ländern liegt diese Aufgabe teilweise im Mandat mehrerer Behörden, teilweise bei der Notenbank; siehe Calvo et al. (2018). []
  3. Siehe Finma (2017a), S. 24 und Finma (2016). []
  4. Siehe Finma (2017b). []
  5. Siehe Finma (2021). []
  6. Siehe FSB (2020). []

Literaturverzeichnis
    • Amstad, Marlene (2021). «Aufsicht der Zukunft», Rede am Schweizerischen Bankiertag 2021, 16. September.

 

 

 

 

 

 

 


Bibliographie
    • Amstad, Marlene (2021). «Aufsicht der Zukunft», Rede am Schweizerischen Bankiertag 2021, 16. September.

 

 

 

 

 

 

 

Zitiervorschlag: Marlene Amstad, Thomas Lustenberger (2021). Die «Finanzmarktaufsicht der Zukunft». Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.